Vorträge | Jahrbuch 2001
Identitätsfragen in der Erziehungspolitik
Hans Theodor Regier
(1)
1. Das Schulwesen in Russland
Den Identitätsfragen der Mennoniten Paraguays in der Erziehungspolitik nachzugehen ist eine große Herausforderung und
nur auf Grund einer Beobachtung der geschichtlichen Entwicklung des mennonitischen Erziehungswesens möglich. Für die
Erarbeitung dieser Thematik waren die Werke von Leonhard
Froese,
(2)
Peter P. Klassen
(3) und Jakob
Warkentin
(4) grundlegend.
Die Wurzeln des Schulwesens der deutschstämmigen Mennoniten in Paraguay führen ohne Zweifel zurück nach Russland.
Das Wesen der Erziehungsarbeit der Mennoniten in Russland war so ausgeprägt, dass später die Neuansiedlungen der
Russlandmennoniten in Nord- und Südamerika davon stark beeinflusst wurden. Natürlich trugen noch mehr Gründe dazu bei,
dass die Grundlagen der Erziehungspolitik der Mennoniten in Paraguay einen starken Rückhalt im mennonitischen Schulwesen
in Russland fanden. Es würde den vorgegebenen Rahmen sprengen, die gesamte Erziehungsarbeit der Mennoniten in Russland
zu untersuchen. Doch sollen einige Elemente des mennonitischen Schulwesens in Russland, die später auch in Paraguay
in direkter und indirekter Form zum Tragen kamen, etwas näher betrachtet werden.
1.1. Die ursprünglich aus Preußen nach Russland eingewanderten Mennoniten waren davon überzeugt, dass die Eltern für
die Grundschulausbildung ihrer Kinder verantwortlich sind. Dieser von der Gruppe selbstauferlegten Pflicht versuchten die
Eltern so gut wie möglich nachzukommen. Diese Selbstinitiative und das Pflichtbewusstsein, dass die Eltern für die
Grundschulausbildung ihrer Kinder verantwortlich sind, war auch bei der Ansiedlung der deutschstämmigen Mennoniten in Paraguay
von grundlegender Bedeutung um ein eigenes Schulsystem aufzubauen.
1.2. Die Strukturierung des mennonitischen Schulwesens in Russland vor und nach der tiefgreifenden Reform durch
Johann Cornies finden wir in Paraguay in beiden Formen wieder.
Die Schulstrukturen mit dem jeweiligen Bildungsniveau aus der Zeit vor der Schulreform in Russland findet man in Menno
bis in die späten fünfziger Jahre und bis heute in mehreren mennonitischen Kolonien in Ostparaguay vor. Das traditionelle
Schulsystem aus Russland konnte und kann in Paraguay noch einmal voll zum Zuge kommen. In der Erziehungsarbeit in
Fernheim, Friesland, Neuland und Volendam wurde das fortschrittlichere reformierte Schulsystem aus Russland in fast unveränderter
Form übernommen. Man ging wie in Russland von einer sechsjährigen Grundschulausbildung aus, danach folgte eine
vierjährige Zentralschulausbildung und eine zweijährige Lehrer- oder sonstige Berufsausbildung. Erst einige Jahrzehnte nach der
Ansiedlung in Paraguay hat man sich mehr von diesem aus Russland übertragenen System distanziert und sich den lokalen
Umständen angepasst.
1.3. Die Zielsetzung des mennonitischen Schulwesens in Russland konzentrierte sich vor Cornies Schulreform
hauptsächlich darauf, dass alle Kinder eine Grundschulausbildung erhalten sollten, wo sie lesen, schreiben und rechnen lernen
mussten. Während dieser Zeit war es für die jeweiligen Organisatoren des Schulwesens von grundlegender Bedeutung, dass die
Kinder eine Grundschulausbildung erhielten, wobei die Qualität der Erziehungsarbeit keine entscheidende Bedeutung hatte.
Diese recht niedrigen Ansprüche entsprachen wohl auch der allgemeinen Lebenseinstellung, in der es darum ging, eine
schlichte Lebenshaltung einzunehmen und mit Schweiß auf der Erdscholle das alltägliche Brot zu erarbeiten.
Doch nicht alle waren mit dem vorhandenen Bildungsniveau zufrieden, und die Zeit brachte Männer hervor, die trotz
großer Widerstände aus den eigenen Reihen und dem enorm großen Gesellschaftsdruck, wohl aber mit dem politischen Rückhalt
des russischen Staates, Reformen im wirtschaftlichen und pädagogischen Bereich anstrebten. Johann Cornies formuliert die
Zielsetzung der auf seine Art verbesserten Erziehungsarbeit folgendermaßen: Religiosität ist das Ziel, zu welchem jede wahre
Bildung hinstreben muss, und an welcher sich alle einzelnen Zweige derselben vereinigen müssen. Sie ist die heilige Wurzel, aus der
alles Leben hervorgeht und welche die Weihe über die keimende Kraft und über ihre Entwickelung ausgießt". Im letzten Artikel
seiner 88 Allgemeine Regeln" fährt er fort: Werden die Lehrer hiesigen Bezirks nach diesen hier angeführten Regeln handeln,
dann werden die Schulen Bildnerinnen des Körpers, Herzens und Geistes werden, wahre Bildungsörter für den Menschen, ein
Segen für die jetzigen, eine Glückseligkeit für die nachkommenden
Brüder."
(5) Hier wird ersichtlich, dass die Vermittlung von
religiösen Werten und Inhalten ein wichtiger Bestandteil bzw. die Grundlage der Erziehungsarbeit war. Die Schulen sollten
Konfessionsschulen sein und darunter verstand man in den Gemeinden, dass die Erziehung sich auf das mennonitische Bekenntnis
gründen sollte und der Geist ein religiös-sittlicher sein
sollte".
(6) Bedingt durch den gemeinschaftlichen Charakter der
mennonitischen Siedlungen wurde in der Erziehungsarbeit auch großes Gewicht auf die Vermittlung von gewissen Verhaltensmustern für
Lehrer und Schüler gelegt. Verhaltensmuster, die sich z.B. auf das Verhältnis des Kindes zu Lehrern, Eltern, Obrigkeit,
Gemeinde, Umwelt, usw. beziehen.
(7) Inhaltlich bleibt die Zielsetzung der Erziehungsarbeit der Mennoniten in Paraguay in den
ersten Jahrzehnten dieselbe wie in Russland. Obzwar diese in den ersten Jahrzehnten wenig oder überhaupt nicht schriftlich
formuliert wurde, so stand die Religiosität", wie Cornies sie nennt, doch immer im Vordergrund. Obwohl man keine dogmatischen
Glaubensbekenntnisse schriftlich vorliegen hatte, die auch für die Erziehungsarbeit als Richtlinien hätten dienen können,
wusste anscheinend jeder, wo es entlang ging. Doch diese Tatsache ermöglichte es, dass das Schulwesen immer wieder von
starken Persönlichkeiten, die auch wieder die Interessen der Gemeinden, der Kolonieverwaltung oder von Institutionen von
außen vertraten, entscheidend beeinflusst werden konnte.
1.4. Eng zusammenhängend mit der Zielsetzung der Erziehungsarbeit war auch das Verhältnis der Schulen zu den
Gemeinden. Dadurch dass die Erziehungsinstitutionen Konfessionsschulen sein sollten und auch waren, setzten sich die Gemeinden
automatisch als Kontrollinstanz über die Schulen. Man sah es gerne, wenn die Lehrer Glieder der jeweiligen Gemeinden waren. In
der Tat waren in Russland, wie auch später in Paraguay, ein großer Teil der Lehrer gleichzeitig Prediger. So waren die Gemeinden
auf der einen Seite bei der Festlegung der Rahmenbedingungen der Erziehungsarbeit mitbestimmend, andererseits kontrollierten
sie aber auch ständig, dass dieser Rahmen nicht von den Beteiligten überschritten wurde. Dadurch unterstützte die
Erziehungsarbeit die dogmatischen Grundsätze der Mennoniten wie z. B. die Gemeinschaft der Gläubigen und die Absonderung von
der sündigen Welt. Gefördert wurden Eigenschaften wie Gehorsam, Schlichtheit, Sittsamkeit und
Frömmigkeit.
(8) Den Ursprung der Gemeindeschulen", wie sie in Russland anfänglich geführt wurden, kann man bestimmt in dem Bedürfnis finden, die
Interessen der täuferischen Glaubensgemeinde zu erhalten und zu vertreten. Allmählich wurde daraus eine Schule der Dorfgemeinde.
Für die Glaubensgemeinde waren die Gemeindeschulen" ein Garant für ihre Kontinuität, aber auch gleichzeitig Träger der
Dorfs- und Koloniekultur.
(9) Das enge Verhältnis zwischen Schule und Gemeinden wurde auch von Russland nach Paraguay transferiert.
1.5. Ein weiteres für die Mennoniten in Russland wichtiges Element des Schulwesens war die Sprache. Als
Unterrichtssprache diente anfänglich die Muttersprache, d.h. Plattdeutsch und Deutsch. Im Prinzip war Deutsch die offizielle Sprache für
Gemeinde, Gemeinschaft und Schule. Die Sprache galt auch als Garantie für die Absonderung von der Welt. Die Absonderung von der
Welt wäre durch die Übernahme der jeweiligen lokalen Sprache gefährdet, da dann natürlich auch die negativen Einflüsse der
neuen Kultur nicht abzuwehren seien. In mehreren Fällen der mennonitischen Geschichte war der Versuch der jeweiligen Regierung,
die deutsche Sprache einzuschränken oder abzuschaffen Grund genug, den Wanderstab zu ergreifen. So führten in Russland
die anstehenden Reformen und auch der Verdacht, dass man dadurch die deutsche Sprache verlieren werde, zur
Auswanderung einer Gruppe von Mennoniten nach
Kanada.
(10) Natürlich war es nicht nur die Sprache, sondern die jeweiligen gesamten
Schulreformen, die zu Auswanderungen nach Kanada, Mexiko und Paraguay anspornten. Erst 1897/99 wurde in Russland die
russische Sprache per Gesetz als Unterrichtssprache eingesetzt, mit Ausnahme des Unterrichts in den Fächer Religion und Deutsch.
Auch in Paraguay hat man nie daran gezweifelt, dass die deutsche Sprache als Unterrichtssprache führend sein sollte. Trotzdem
hat man in Russland wie auch in Paraguay sehr bald Anstrengungen unternommen, die lokale Landessprache teilweise in
den Lehrplan mit aufzunehmen.
Die Strukturierung des Schulwesens, Zielsetzung, Qualität, Sprache und das Verhältnis zur Gemeinde sind Punkte in
der deutschmennonitischen Schulgeschichte, die oft Spannungsfelder zwischen den traditionellen und fortschrittlicheren
Gruppen erzeugt haben. Diese Spannungsfelder, die in einigen Fällen zu harten Auseinandersetzungen führten, gaben aber auch
Anlass zu Neuorientierungen der Erziehungspolitik.
2. Das Schulwesen in Paraguay
In Paraguay trafen zu Beginn der dreißiger Jahre zwei Erscheinungsformen des mennonitischen Schulwesens zusammen. In
der Kolonie Menno wurde das aus Russland über Kanada mitgebrachte konservative Schulwesen der Bergthaler aus der Zeit
vor Cornies Reform aus Russland aufgebaut, in Fernheim dagegen versuchte man das Schulwesen aus Russland, das sich
relativ hoch entwickelt hatte, weiter auf- und auszubauen. Beide Formen ruhten letztendlich auf derselben Glaubensgrundlage,
d.h. dem täuferisch-mennonitischen Glaubensbekenntnis und der zum Teil gleichen Tradition.
2.1. Das traditionelle und das fortschrittliche Schulwesen
Das Schulwesen in der Kolonie Fernheim und später auch in Friesland, Neuland und Volendam wurde im Gegensatz zu dem
der Kolonie Menno mit anderen Voraussetzungen gestartet. Am meisten unterschieden sich die Fernheimer, die 1930/32
einwanderten, von den Mennos in ihrer Einstellung zur Umwelt und Außenwelt. In Menno versuchte man die Kinder und Jugendlichen
vor dem Einfluss der Welt zu schützen, während man in Fernheim die Beziehungen zur neuen Heimat und zum Ausland
förderte. Natürlicih erzeugte diese Tatsache Spannungsfelder in der Erziehungspolitik, wobei man den Einfluss von draußen nicht
immer in angemessener Form mit den eigenen Glaubensüberzeugungen und den traditionellen Formen auf einen Nenner
bringen konnte.
2.1.1.Von der Ansiedlung bis 1945
Das Schulwesen in der Kolonie Fernheim kann von der Ansiedlung 1930/32 bis zum Abschluss des Zweiten Weltkrieges
wohl als eine in sich geschlossene Phase gesehen werden. Während dieser Zeit erlebte die Erziehungsarbeit einen Aufschwung,
der in materieller Hinsicht fast aus dem Nichts erarbeitet, dann aber nach überspitzten Auseinandersetzungen Mitte der
vierziger Jahre einmal stark abgebremst wurde. Das Startkapital für die Aufbauarbeit des Schulwesens in Fernheim waren die
Erfahrungen eines säkularisierten, modernen und differenzierten Schulwesens der Mennoniten in Russland aus der Zeit vor 1914, ein Teil
in Russland ausgebildeter Lehrer und die aus Deutschland mitgebrachten Bücher und Schulmaterialien.
Im Grunde genommen strebte man denselben Zustand an, wie man ihn in Russland vor 1914 erlebt hatte und der in
der Durchführung der regelmäßigen Gottesdienste, einem ungestörten Gemeindeleben und einem geregelten Schulunterricht
bestand.
(11) Trotzdem versuchte man von Anfang an, gute Kontakte mit dem neuen Heimatland zu pflegen. So wurden gleich
im ersten Sommer nach der Ansiedlung Lehrer auf Kosten des paraguayischen Staates nach Asunción geschickt, um die
spanische Sprache zu erlernen und sich sonstige Kenntnisse anzueignen. Viel Wert legte man auf die Anstellung von
ausgebildeten Lehrern. Wo dies nicht der Fall war, gab man immer wieder die Gelegenheit, dass Junglehrer sich auf lokalen
Fortbildungskursen die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten aneignen konnten. Die jeweiligen Dorfsgemeinschaften machten sich für den
Aufbau und Unterhalt der Schulen verantwortlich. Im Vergleich zu den Gemeindeschulen in Menno entwickelte sich hier mehr der
Typ einer Kolonie-, bzw. Dorfsschule, den später auch die Kolonien Friesland, Volendam und Neuland übernahmen.
Aber auch in Fernheim stand das Schulwesen in engem Kontakt mit den Gemeinden. Wie schon in Russland ein großer Teil
der Lehrer gleichzeitig Prediger war, übten auch in Fernheim in den ersten Jahren neun von sechzehn Lehrern gleichzeitig
das Predigeramt aus.
(12) Wohl unter dem Einfluss der Gemeinden war die Schule im Dorf Symbol der Kultur. Die Siedler waren sich
sehr schnell bewusst, dass sie neben dem wirtschaftlichen und religiösen Bereich auch das kulturelle Leben in die Hand
nehmen mussten, da hier in Paraguay nicht mit Unterstützung von außen zu rechnen war. Die Grundschulausbildung in den
jeweiligen Dörfern war für die Ansiedler eine Selbstverständlichkeit, aber die Eröffnung einer Fortbildungsschule in Schönwiese ab
1931 war wohl etwas Außergewöhnliches. Dieses Unternehmen lief auf Grund einer Privatinitiative, in der Lehrer Wilhelm Klassen
die führende Triebfeder war. Drei Jahre später übernahm die Kolonieverwaltung von Fernheim diese Initiative und führte
die Zentralschule" in Filadelfia weiter.
(13)
Der Unterricht wurde außer im Fach Spanisch in deutscher Sprache erteilt. Es bestand wohl bei den Organisatoren der
Erziehungsarbeit kein Zweifel, dass die deutsche Sprache mit dem dazugehörigen Einfluss im allgemeinen Kulturleben die
Grundlage für das Schulwesen bilden sollte. Das Deutschtum war besonders auch in Russland Teil der ethnisch-mennonitischen
Gemeinschaft geworden, und diese Tatsache kam in der neu gegründeten Kolonie Fernheim und später auch in Friesland, Neuland
und Volendam stark zum Zuge. Die Mennoniten hatten ihr Deutschbewusstsein von Russland mit nach Südamerika gebracht,
und man sah Deutschland immer noch als das Mutterland"
an.
(14) Hinzu kam bei den mennonitischen Ansiedlern die Dankbarkeit
der deutschen Regierung gegenüber, mit deren Hilfe sie aus dem Machtbereich des Kommunismus gerettet worden waren.
Die Machtübernahme Hitlers in Deutschland erregte bei den deutschsprachigen Siedlern Freude, da jetzt der Ausbreitung
des Kommunismus Einhalt geboten werden sollte und auch wieder für ein Heim ins Reich" nach der Beendigung des
Krieges plädiert wurde. Diese Umstände erzeugten andererseits aber auch ein Spannungsfeld, weil die Vorstellung wuchs, dass
Paraguay eventuell eine neue Heimat bedeuten könnte. Außerdem wurde im religiösen Bereich immer wieder erwähnt, um
vielleicht auch in der wirtschaftlich hoffnungslosen Situation einen Rettungsschimmer zu sehen, dass Gott die Mennoniten doch
nach Paraguay gebracht habe, um hier eine gewisse Aufgabe zu
erfüllen.
(15)
Das oben erwähnte Spannungsfeld übertrug sich auch auf die Erziehungspolitik. Die Schule war eine geeignete Bühne auf
der, die zum Teil unterschiedlichen politischen Einstellungen verschiedener Gruppen auszufechten. Ab Ende der dreißiger Jahre
bis 1943 wurde das Schulwesen in der Kolonie Fernheim stark von nationalsozialistischen Ideen geprägt. Unterstützt wurde
dieser Trend in Fernheim vom Deutschen Volksbund in Paraguay" und der deutschen Gesandtschaft in Asunción. Sie versorgten
die Schulen mit umfangreichen Lehrmittelsendungen aus Deutschland, halfen bei der Lehrerversorgung und bei sonstigen
Aktionen. Man sah in Hitler einen Bewahrer der christlichen Tradition und ein Vorbild in persönlichen Tugenden.
Dankbarkeit gegenüber dem deutschen Mutterland, das Verbundenheitsgefühl mit den in der Sowjetunion
zurückgebliebenen Verwandten und Freunden und das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Volk, dessen Sprache und Kultur
man jahrhundertelang gepflegt hatte, hatten ein emotionales Klima geschaffen, in dem wenig Raum für ein
oppositionelles Verhalten blieb".(16)
Friedrich Kliewer, ein dynamischer, intelligenter und radikaler Leitertyp, kehrte Ende der dreißiger Jahre nach Abschluss
seines Studiums in Deutschland nach Fernheim zurück, um in der Erziehungsarbeit an leitender Stelle mitzuarbeiten. Er konnte sich
mit dem damals bekannten Gedankengut des Nationalsozialismus identifizieren. Auf der einen Seite hat er grundlegende
Bausteine für das Schulwesen der Mennoniten in Paraguay gelegt. Nicht nur in der Strukturierung des Schulwesens, der
allgemeinen Schulreform, Erarbeitung der Stoffpläne, sondern auch in dem aufopfernden Bemühen, eine eigene
Lehrerausbildungsstätte aufzubauen, lag sein Verdienst. Andererseits trug seine dynamische und unbeirrte Vorgehensweise auch dazu bei, die
Kluft zwischen den Sympathisanten und Gegnern der völkischen Bewegung zu
vergrößern.
(17)
Ein großer Teil der Lehrer, unterstützt von der Kolonieverwaltung, einige Prediger und ziemlich viele Bürger versuchten,
eine Volkstumspolitik im Sinn der auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches in Fernheim zu verwirklichen. Durch diese
Gruppierungen wurden die Auseinandersetzungen über das Schulwesen oft nicht sachorientiert, sondern personenorientiert
geführt. Hinzu kam, dass die Mennoniten in Russland fest davon überzeugt waren, dass ein Christ täuferischen Ursprungs nicht in
der Politik mitmischt. Aus diesem Grund war man auf die Konfrontation mit der nationalsozialistischen Ideologie nicht
genügend vorbereitet.
Langsam wuchs die Besorgnis über den völkischen Einfluss, besonders auch in der Frage der Wehrlosigkeit.
Nordamerikanischer Einfluss, vertreten durch Ärzte und Missionare, wurde immer stärker bemerkbar. Die antivölkische Bewegung wurde
von der Mehrheit der Prediger, einigen Lehrern, Gemeindegliedern und Eltern
geführt.
(18) Obzwar man die Erziehungsarbeit von
der Volksschule bis zum Lehrerseminar unterstützte, sah man in dem Einfluss des nationalsozialistischen Gedankenguts eine
Gefahr. Die Gemeinden sahen ihren eigenen Einflussbereich gefährdet. Eltern, die die Opposition unterstützten, schickten ihre
Kinder nicht mehr zur Kolonieschule, sondern zur neu gegründeten Bibelschule. Nachdem dann die verantwortlichen Personen
des nationalsozialistischen Einflusses aus der Kolonie verbannt und der offizielle Friede wieder hergestellt worden war, stand
das Schulwesen wieder stark unter dem Einfluss der Gemeinden. Die Folgen dieser gesellschaftspolitischen Spannungen, die
leider größtenteils im schulischen Bereich ausgetragen wurden, waren noch lange danach zu bemerken.
2.1.2. Der nordamerikanische Einfluss
Die scharfen Auseinandersetzungen der beiden Gruppierungen in Fernheim beunruhigten das MCC schon ab den
frühen vierziger Jahren. Denn wenn die völkische Bewegung sich auf lange Sicht in Fernheim durchsetzen und bei einem
eventuellen Sieg Deutschlands eine Bewegung Heim ins Reich" organisieren würde, bedeutete dies gleichzeitig ein Scheitern des
Siedlungsprojektes im paraguayischen Chaco. Diese Niederlage konnte sich das MCC auf keinen Fall leisten. Mit einem
Schreiben bezog das MCC schon 1940 klare Stellung zu den Vorfällen in Fernheim Die Lehrer, diejenigen der Zentralschule
eingeschlossen, sind nur Diener der Kolonie, und nicht Führer. Sie sollten sich von aller Politik fern halten und keinesfalls Ursache zu
Kampf und Streit geben. Es ist durchaus unzulässig, dass ein Lehrer gegen die Wehrlosigkeit, sowie andere Prinzipien des
Mennonitentums Stellung nimmt."
(19) Anscheinend war das MCC nicht gegen das Deutschtum, sondern gegen die Erziehung zur
Wehrbereitschaft. Man unterstützte offiziell auch nicht das Vorhaben einiger besorgter Eltern, eine zweite Zentralschule zu
gründen. Vielmehr wurde dazu aufgefordert, die bestehende Schule nach mennonitischen Prinzipien zu führen.
Die Bemühungen des MCC beruhten auf zwei Grundpfeilern, nämlich am Festhalten am Prinzip der Wehrlosigkeit und
der Bereitschaft, im Chaco sesshaft zu bleiben. Zu den handgreiflichen Vorfällen am 11. März 1944 nahmen die MCC-Vertreter
auch konkret Stellung und glaubten durch die militärischen Erfolge der USA im Zweiten Weltkrieg auch gewisse Druckmittel in
der Hand zu haben. Diese Tatsachen wiesen ganz klar darauf hin, dass die jeweiligen politischen Interessen der damaligen Zeit
im Schulbereich ausgetragen wurden.
1944 blieb die Zentralschule in Filadelfia auf Grund der vorgefallenen Geschehnisse auf politischer Ebene geschlossen, und
erst ab 1945 wurde mit Hilfe des MCC die Zentralschule wieder eröffnet. Unterrichtskräfte aus Nordamerika und aus dem
lokalen Bereich führten weiterhin die Institution. Man war mit der Unterstützung aus Nordamerika einverstanden, da sonst
keine Mithilfe aus dem Ausland in Aussicht war. Lehrer und Prediger C.C. Peters, der die Zentralschule von 1948 bis 1952 leitete,
hat einen entscheidenden Beitrag zur Weiterführung dieser Erziehungsinstitution geleistet. Der Einfluss der
nordamerikanischen Mennoniten blieb bis 1952 bestehen und äußerte sich in einer verstärkten Rückbesinnung auf das überlieferte
mennonitische Glaubens- und Kulturerbe. 1948 wurde auf Grund der Initiative von C.C. Peters eine Bibelschule ins Leben gerufen, die
qualifizierte Gemeindearbeiter vorbereiten sollte. Das Phänomen der Bibelschulen, später auch von einigen anderen Kolonien
kopiert, hatte in gewisser Hinsicht einen großen Einfluss auf die Gemeinschaft und dadurch auch auf die allgemeine Kulturebene.
Die Gemeinden konnten durch diese Institution einen großen Einfluss auf die Erziehungsarbeit ausüben.
2.2. Integration des Schulwesens
Die Grundsteine für die offizielle Anpassung des mennonitischen Schulwesens an das paraguayische Schulsystem wurden
in Fernheim schon 1945 gelegt. In diesem Jahr arbeitete die K.f.K., einige Lehrer und der Schriftleiter des Mennoblattes
neue Richtlinien für das Fernheimer Schulwesen aus. Man sprach jetzt von christlich-mennonitischer" und nicht mehr von
deutsch-mennonitischer" Erziehung. Der neue Bezugspunkt in der Erziehungsarbeit war ab jetzt Paraguay und nicht wie bisher
Deutschland. Die Bildung in den Schulen sollte
auf der Grundlage positiver Auslegung der Heiligen Schrift beruhen und in vollem Einklange mit dem
mennonitischen Glaubensbekenntnis stehen. Dem Schüler sollte eine christliche Weltanschauung vermittelt werden. Betont
werden sollten in Erziehung und Unterricht die Grundsätze und Lehren des Friedens, einfache schlichte Lebensweise,
Geradheit des Charakters, Heiligkeit der Ehe und des Heimes und Freiheit des Gewissens. Es sollten führende Kräfte
für Gemeinde, Schule und bürgerliches Leben herangebildet
werden."(20)
Das Pendel der Geschichte hatte wieder einmal zurückgeschlagen. Die Erziehungspolitik der völkischen Bewegung wurde
ohne Rücksicht in den Hintergrund geschoben, und man schaffte einen neuen Erziehungsrahmen, der wohl in gewisser Hinsicht
bis heute erhalten geblieben ist. Das Schulwesen geriet jetzt in zunehmendem Maß unter den Einfluss der Gemeinden.
Besonders auch die Bibelschulen taten das Ihrige dazu. Wenn die Schulen ab Mitte der vierziger Jahre in erhöhtem Maß von den
Mennoniten Nordamerikas gefördert und beeinflusst wurden, so kam während der sechziger und siebziger Jahre und auch später,
die materielle, finanzielle und personelle Unterstützung aus Deutschland. Die Hilfe aus der Bundesrepublik Deutschland galt
auch für Friesland, Neuland, Volendam und später auch für Menno. Die Bemühungen um eine engere offizielle Zusammenarbeit
mit dem paraguayischen Erziehungsministerium setzten in offizieller Form ab den frühen siebziger Jahren ein. So schloss sich
der Kreis der drei Grundpfeiler des neu strukturierten mennonitischen Schulwesens in Paraguay: christlich-mennonitische
Glaubenshaltung, deutsch-kulturelles Erbe und das paraguayische Kulturgut, mit dem die Mennoniten immer öfter
konfrontiert wurden. Es entstand wieder ein neues Spannungsfeld dadurch dass neben dem Erhalt der mennonitischen Tradition und
Kultur, das Schulwesen immer stärker in das Schulsystem des Landes integriert wurde, man aber in paralleler Form versuchte,
durch Kontakte mit Deutschland das deutsche kulturelle Erbe zu
aktivieren.
(21) Diese Umstände brachten wohl positive Folgen für
das allgemeine geistige und geistliche Kulturniveau mit sich, erzeugten aber beim Jugendlichen Verwirrung durch fehlende
Identifizierung mit einer bestimmten Ausrichtung.
Das Schulwesen in Fernheim wurde durch die Ausbildung eigener Lehrkräfte im Ausland und in Asunción ab den
frühen fünfziger Jahren in zunehmendem Maß
unabhängiger.
(22) In dieser Zeit setzte im Erziehungsbereich ein Trend ein, sich vom
MCC unabhängig zu machen. Die Aus- und Weiterbildung der eigenen Lehrer wurde gefördert, um im Schulwesen in Bezug
auf Einflüsse von draußen unabhängiger arbeiten zu können. Während der achtziger Jahre war die Zentralisierung der
Dorfsschulen in den jeweiligen Zentren der mennonitischen Siedlungen in vollem Gange. Der Grund dafür waren die hohen
Unterhaltkosten der Dorfsschulen und das Bestreben, den Unterricht durch die Zentralisierung des Schulwesens qualitativ zu verbessern.
Ab den siebziger Jahren begann der Anerkennungsprozess der mennonitischen Schulen im paraguayischen
Erziehungsministerium. Die vierjährige Zentralschulausbildung wurde durch die offizielle Anerkennung auf sechs Jahre verlängert. Dadurch
ging das aus Russland lang bewährte Schulsystem der vierjährigen Zentralschulen verloren. Es wurden auch größtenteils die
Stoffpläne des paraguayischen Schulsystems in den mennonitischen Schulen übernommen. Die Übernahme der Stoffpläne
hat manche Veränderungen im mennonitischen Schulwesen bewirkt. Die oft mangelhafte Qualität der Unterrichtsmaterialien
hat dazu geführt, dass man auch immer wieder selbst hergestellte oder aus Deutschland bezogene Materialien als
Ergänzung hinzugezogen hat. Anders war es in der sechsjährigen Grundschulausbildung, wo noch größtenteils auf Grund eigener
Pläne und Materialien gearbeitet wurde. Die Volksschulen wurden erst 1993 von der paraguayischen Regierung anerkannt. Trotz
der offiziellen Anerkennung von Seiten des paraguayischen Erziehungsministeriums hat letzteres im konkreten Schulalltag in
den mennonitischen Schulen bisher wenig verändert.
Einmalig ist auch die Initiative für die Schulreform in Menno. Die Reformgedanken kamen durch fortschrittlich
denkende Männer von innen heraus und wurden nicht von außen aufgezwungen. Neue Unterrichtsmethoden und -inhalte wurden
eingeführt, und man durchbrach eine jahrhundertealte Form der Absonderung von der Umwelt. In den frühen siebziger Jahren
wurde die Vereinsschule in eine Kolonieschule umgewandelt. Der weitere Integrationsprozess von den traditionellen
Gemeindeschulen zu der neuzeitlichen Kolonieschule hin lief ungefähr so wie in den anderen mennonitischen Gemeinschaften.
Die bewusste dreifache Zielsetzung im mennonitischen Schulwesen ab den fünfziger Jahren trug zu einer erheblichen
Qualitätsverbesserung des Erziehungswesens bei. Die qualitativen Verbesserungen im Schulwesen wurden wohl vor allem auf Grund
der eigenen Anstrengungen und mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland erzielt. Von der paraguayischen Regierung kam
wenig praktische Unterstützung.
3. Fazit
3.1. Notwendigkeit des Wandels der Identität
Die Schule ist wohl stärker mit der Identitätsproblematik der Mennoniten verwickelt, als man oft annimmt. Einmal deshalb,
wie schon oben nachgezeichnet wurde, weil man allgemein davon ausging, dass die Schule für den Erhalt und die Pflege
des gesamten Kulturwesens zuständig ist. Wenn man davon ausgeht, dass die Identität die Gesamtheit des Seins mit
einschließt und nur im Kontext der jeweiligen Gesellschaft mit ihren Sitten, Gebräuchen und Werten möglich ist, hat der kulturelle
Bereich eine grundlegende Funktion für die jeweilige Identitätsbildung.
Außerdem bot die Schule im mennonitischen Gemeinschaftsleben fast die einzige Arena, wo der Intellektuelle sich
profilieren konnte. Des Öfteren war es so, dass der Sachverständige nur in der Schule die Möglichkeit hatte, seine Fähigkeiten zu
beweisen, wo er dann eben auch seinen Lebensunterhalt verdiente, auf Gemeindeebene dagegen ohne finanzielle Zuwendung
seine Dienste leistete. Das heißt im Klartext, dass ein Teil der führenden Leute der Kolonie im schulischen Bereich die
Möglichkeit hatte, seine Identität weiter zu formen, bzw. unter Beweis zu stellen. Man könnte diesem entgegenhalten, dass die
Gemeinde auch ein Forum darstellen könnte, um das kulturelle, aber besonders auch das geistliche Erbe zu diskutieren. Dies war
aber meistens nicht der Fall. Die Gemeinde war wohl Hüterin des geistlichen Erbes, aber nicht eine Bühne, auf der dieses Erbe
zur Diskussion stand. Natürlich brauchte der Glaube nicht täglich zur Diskussion zu stehen, es gab aber immer wieder
aktuelle Fragen, die eine zeitgemäße Analyse erforderlich machten. Die geistlichen Grundlinien, eingebettet in die Tradition, waren
dem Anschein nach klar definiert. Der Glaube beinhaltete ein Leben in der Nachfolge Jesu, wobei die Bibel die alleinige Grundlage
für das täuferisch-mennonitische Wesen bildete. Die Taufe war der Bekenntnisakt für diesen Lebensstil, in dem auch die
Wehrdienstverweigerung, das Nicht-Schwören und die Nächsten- und Feindesliebe eine besondere Bedeutung hatten. Dieser
Grundrahmen wurde in den verschiedensten Formen auch auf das kulturelle, wirtschaftliche und soziale Leben übertragen.
Dem gegenüber schwebte den meisten Mennoniten ein Bild vor, wo ein tapferer und mutiger Siedler mit außergewöhnlichen
Leistungen im wirtschaftlichen und zum Teil auch kulturellem Bereich unproduktive Einöden in ein Land der Erfüllung"
verwandelt. Doch wer drückte der mennonitischen Gemeinschaft dieses Bild und diese Forderung auf? Das Bild des tapferen und
mutigen Siedlers mit den außergewöhnlichen Leistungen, heute ist es wohl die vorbildliche Milchproduktion, wurde in vielen Fällen
von außen geprägt. Hier kommt das Spannungsfeld des Selbst- und Fremdbildes voll zur Wirkung. Ein Bild, das man selber
anfertigt, bzw. sich von anderen aufdrängen lässt, ohne dass es mit der Realität und den eigenen Lebensvorstellungen
übereinstimmt, bringt für die jeweilige Gemeinschaft und besonders auch für den Einzelnen große innere Spannungen mit sich. Warum
können die deutschstämmigen Mennoniten in Paraguay nicht ganz normale Menschen mit ihren Stärken und Schwächen sein so wie
alle anderen Bewohner des Landes auch? Eine unkritische Auseinandersetzung mit den Vorstellungen, bzw. Selbstbildern kann
man öfters in der mennonitischen Geschichte beobachten. Die undiskutierten und undefinierten Selbst- und Fremdbilder
führten besonders auch bei vielen Jugendlichen zu einer Identitätskrise. Denn eine große Mehrzahl der heranwachsenden
Generation ist nicht aktiv an dem Aufbau- und Stabilisierungsprozess der Gemeinschaft beteiligt gewesen und kann sich aus diesem
Grund oft auch mit gewissen Bildern nicht genügend identifizieren. Sie suchen und fragen nach tieferen Begründungen der
eigenen Identität. Es besteht die Notwendigkeit, dass die Selbst- und Fremdbilder, die in den meisten Fällen unser Handeln
bestimmen, neu diskutiert werden. Die Zeit, in der steife Formen mit Hilfe von Feindbildern an die Jugendlichen vermittelt werden, z.B.
im Umgang mit anderen Religionen, scheint vorbei zu sein. Außerdem führt dies auch nicht zu einer Stärkung der eigenen Identität.
3.2. Schule als Grundlage der Identitätsvermittlung
Eine der charakteristischen Eigenschaften des mennonitischen Schulwesens, das direkt von Russland auf die Kolonien
in Paraguay übertragen wurde, war die Initiative der Siedler, den Aufbau des Schulwesen in die eigene Hand zu nehmen. In
keiner der mennonitischen Siedlungen in Paraguay fehlte seit der Gründung der Kolonie eine Schule. Auch die Struktur des
Schulsystems wurde direkt von Russland auf Paraguay übertragen. Die Grund- und Zentralschulausbildung wurde erst ab den
siebziger Jahren inhaltlich und strukturell verändert, um den Anforderungen des paraguayischen Erziehungsministeriums für die
jeweilige offizielle Anerkennung gerecht zu werden.
Die deutsche Sprache war ein weiteres Kulturelement, das im mennonitischen Schulwesen in Paraguay einen breiten
Platz einnahm. Als Ausdruck der Identifizierung mit dem deutschen Kulturgut wurde es als eine Selbstverständlichkeit
angesehen, dass Deutsch auch weiterhin das grundlegende Kommunikationsmittel in der Schule darstellen würde. Aus der noch
von Russland mitgebrachten Einsicht, dass das Erlernen der Landessprache eine Notwendigkeit sei, machte man in Fernheim
gleich nach der Gründung der Siedlung eine Anstrengung, die paraguayische Landessprache zu erlernen. In der Kolonie
Menno dagegen galt die deutsche Sprache noch bis zu den fünfziger Jahren als Garantie für die Absonderung von der Welt. Es ist
schon erstaunlich, wie die deutsche Sprache über Jahrhunderte hinweg, wenn auch mit einigen lokalen Färbungen, als
Muttersprache in den mennonitischen Siedlungen erhalten blieb. Andererseits trug die geographische Isolation der mennonitischen
Kolonien in Paraguay, besonders bei den Kolonien im Chaco, auch stark dazu bei, dass die spanische Sprache keinen starken Einzug hielt.
Ratzlaff schreibt ...die deutsche Sprache wird sich bei den eingewanderten Mennoniten und ihren Nachkommen noch über
die nächsten zwei Generationen als Muttersprache
erhalten".
(23) Ob die deutsche Sprache bei den eingewanderten
Mennoniten noch zwei, drei oder fünf Generationen erhalten bleiben wird, ist von verschiedenen Umständen und Einflüssen abhängig.
Für die Mennoniten in der Landeshauptstadt wird es in nächster Zukunft wohl eine Herausforderung sein, die deutsche Sprache
als Muttersprache in bestimmender Form beibehalten zu können. Wie die deutsche Sprache weiter in den mennonitischen
Siedlungen im Inland gepflegt werden soll, lohnt sich zu überlegen. Es drängt sich unwillkürlich die Frage auf, ob man die
deutsche Sprache über die Generationen hinweg wird erhalten können und wollen, wenn die folgenden Generationen sich nicht
in angemessener Form mit dem deutschen Kulturgut identifizieren können. Daher wird es wichtig sein, einige
Überlegungen anzustellen, ob man die Identifizierung mit der deutschen Kultur fördern will und wie dies in der Praxis aussieht. Die
deutsche Sprache hat wohl auch dazu beigetragen, die Ausnahmementalität" der Mennoniten in Paraguay zu verstärken. Auf Grund
des deutschen Kulturerbes glauben z.B. manche deutschstämmige Mennoniten, über dem durchschnittlichen
paraguayischen Kulturniveau zu stehen.
Bisher ist das deutsche Kulturerbe trotz der verschiedenen Wanderwege und Unterschiede in der Glaubenshaltung und
Lebensführung dominant geblieben. Dagegen steht, dass die Mennoniten in Paraguay in einem spanischsprechenden
Land wohnen und man durch den Einfluss von draußen immer stärker in Kontakt mit der spanischsprechenden Umgebung kommt.
In den mennonitischen Erziehungsinstitutionen ist in dieser Hinsicht durch den zweisprachigen Unterricht in den letzten
Jahrzehnten ein gangbarer Weg gefunden worden. Ein bewussterer und verstärkter Identifizierungsprozess mit der spanischen
Sprache und dadurch auch mit der paraguayischen Kultur wäre ganz bestimmt auch eine Bereicherung für die Mennoniten in
Paraguay. Man kann schwerlich eine gesunde Integration und Offenheit mit der Umwelt anstreben, wenn man die jeweilige
Landessprache nicht beherrscht. Durch das Erlernen der spanischen Sprache wäre auch der Zugang zum paraguayischen Kulturgut und
der Kontakt mit nicht deutschstämmigen Mennoniten viel leichter gegeben.
In dieser Hinsicht bietet die Schule eine sehr gute Plattform, die Schüler auf den Einfluss der paraguayischen sowie auch
der deutschen Kultur vorzubereiten. Doch dazu muss erst einmal von allen an der Erziehungsarbeit Beteiligten definiert
werden, welches die dazugehörige Grundlage wäre. Auch die Gemeinden, Kolonieverwaltungen und Erzieher müssen ihre
Anforderungen und Vorstellungen bezüglich der Erziehungsarbeit mit ihren jeweiligen Argumenten klar auf den Tisch legen, um
den allgemeinen Rahmen abzustecken. Zu beobachten ist, dass die an der Gestaltung des Schulwesens Beteiligten oft nur mit
vagen Warnungen vor dem Einfluss der Welt in die Erziehungsarbeit eingreifen, ohne wirklich im offenen Gespräch über die
Thematik zu diskutieren. Dabei bietet die Schule eine ideale Möglichkeit, dem Schüler im Identifizierungsprozess in seiner
multikulturellen Umgebung behilflich zu sein. Vielleicht sind die im Schulwesen tonangebenden Personen oft zu sehr mit der Idealisierung
des traditionellen bzw. fundamentalen, im Gegensatz zum fortschrittlichen, Erziehungswesens beschäftigt, anstatt sich auf die
realen Bedürfnisse des Jugendlichen zu konzentrieren.
Ein weiteres Element, das wir in der Erziehungsarbeit in Russland, Kanada wie später auch in Paraguay beobachten können,
ist die Vermittlung von gewissen Verhaltensmustern. Diese Tatsache ist für relativ kleine Gemeinschaften nichts Unnormales,
für eine freie Meinungsbildung des Jugendlichen jedoch entscheidend. Es wird ein bestimmtes Muster vermittelt, das sich z.B.
auf das Verhalten der Kinder den Eltern, der Gemeinde, der Umwelt gegenüber bezieht. Diese Vermittlung von
mennonitischen" Verhaltensmustern kann sich z.B. auf modische Kleidung, Kontakt mit Außenseitern und Andersdenkenden,
Gemeindezugehörigkeit usw. beziehen. Die Vermittlung von Verhaltensmustern ist bestimmt notwendig, aber die Schüler in der heutigen
Zeit verlangen mehr als nur Verhaltensmuster ohne die jeweiligen Begründungen. Man kann beobachten, dass dem Schüler
manchmal zu wenig Werkzeuge vermittelt werden und dass ihm zu wenig Freiraum zur Verfügung steht, um sich eine eigene
und selbstständige Meinung bezüglich seiner Umwelt zu bilden. Wie soll der Jugendliche lernen, sich mit gewissen
kulturellen Inhalten zu identifizieren, wenn er es nicht lernt, sich ernsthaft mit diesen Dingen auseinander zu setzen und wenn er ständig
mit unbegründeten Verhaltensmustern konfrontiert wird?
Hilfreich wäre für den Schüler auch eine klarere Definition des Begriffes Mennonit sein". Wenn Alfred Neufeld in
seinem Vortrag auf einer Delegiertenkonferenz der MBG sagt ... dass sich bei uns mit dem Namen ´Mennonit´ ein Mischmasch
von Religion, Kulturtradition und Volkszugehörigkeit verbindet", so spiegelt diese Aussage wahrscheinlich wahrheitsgetreu
die Realität wieder.
(24) Die heranwachsende Generation weiß aber mit diesem Mischmasch von Religion, Kulturtradition und
Volkszugehörigkeit" wenig anzufangen. Wenn dann noch weitere Elemente der paraguayischen und deutschen Kultur
hinzukommen, hat der Jugendliche zwar eine Menge Alternativen, die in Anspruch genommen werden können, aber auch eine
zunehmende Unsicherheit, womit und in welcher Form er sich identifizieren soll. Für die leitenden Personen in der heutigen
Erziehungsarbeit ist es wohl einfach, sich mit dem Mennonitsein" zu identifizieren, weil sie selber hart daran mitgearbeitet haben, das
ganze Schulwesen aufzubauen. Aber die junge Generation braucht in vielen Fällen nur noch zu genießen, was vorher aufgebaut
wurde. Hinzu kommt bei der jungen Generation der starke Einfluss des Kapitalismus mit seiner Konsummentalität und die
Globalisierung mit den jeweiligen Folgen, wo ganz andere Anforderungen an den heranwachsenden Menschen gestellt werden. Bei
dem Jugendlichen sind Themen wie Internet, Mode, professioneller Sport, Lebensgenuss, Musik, Film, Professionalität in der
Arbeit usw. an der Tagesordnung und weniger wie bei den Eltern gesicherter Lebensunterhalt, Gehorsam, Russlandgeschichten,
11. März - Geschichten", Viehfenz usw. Er weiß oft mit dem Mennonitsein" der Eltern nicht viel anzufangen. Wenn der
junge Student in Asunción auf der Straße gefragt wird: ¿Vós sos un mennonita?.... kommt nach dem Petrusstil ein holpriges
no...sí...no... evangélico... paraguayo" usw. hervor. In diesem Zusammenhang wäre es doch hilfreich, wenn sich der Jugendliche mit
einem klaren wiedertäuferischen Begriff vom Mennonitsein", losgelöst von dem oben genannten ethnischen Mischmasch,
identifizieren könnte. In der Bildung einer klaren Vorstellung in dieser Frage könnte die Gemeinde führend sein. Die Schulen
dagegen würden sich mehr auf die Erarbeitung des kulturellen Wirkungskreises konzentrieren.
3.3. Zielsetzung des Schulwesens
In der allgemeinen Zielsetzung des mennonitischen Schulwesens in Paraguay finden wir wieder Spuren aus Russland, die
hier in ihrer zweifachen Form zum Vorschein kommen. Zum einen das traditionelle Erziehungssystem in der Kolonie Menno bis zu
den fünfziger Jahren, zum andern das fortschrittlichere Schulwesen in Fernheim, Friesland, Neuland, Volendam und später auch
in Menno. Im zweiten Fall war die Zielsetzung so wie in Russland, auf eine qualitativ gute Erziehungsarbeit gemünzt, und
die Religiosität" war, wie Cornies sie in Russland nennt, das höchste Ziel. Charakteristisch für die Zielsetzung des
mennonitischen Schulwesens in Paraguay ist, dass die Richtlinien in den wenigsten Fällen schriftlich fixiert sind. In Menno gab es wohl
die Allgemeinen Schulregeln", aber in Fernheim lagen anfänglich keine schriftlichen Schulstatuten vor. Tonangebend waren in
der Zielsetzung die Kolonieverwaltung, als finanzieller Träger und Verwalter der Schule, und die Gemeinde als Hüterin des
inhaltlichen Bereiches der Erziehungsarbeit. Interessant ist auch, dass mehrmals dann mit der offiziellen Zielsetzung der
Erziehungspolitik gearbeitet wurde, wenn man glaubte, dass der Einfluss von draußen zu stark wurde, so z.B. in Fernheim 1945 nach
dem Wirbelsturm der völkischen Zeit und neuerdings 1995. In den neunziger Jahren haben fast alle fortschrittlichen Schulen in
den mennonitischen Kolonien ihre allgemeine Zielsetzung schriftlich neu definiert. Besonders aber auch in Fernheim löste die
neue Zielsetzung durch ihre angebliche Unausgeglichenheit Unbehagen
aus.
(25)
Voraussetzung für eine bessere Definition der Identitätsfragen in der Erziehungspolitik würde die Offenheit in der
Erarbeitung der Erziehungsziele von allen Beteiligten in diesem Bereich wie Kolonie, Gemeinden und Erzieher sein. Wo keine
Offenheit herrscht, werden auch keine klar definierten Anforderungen auf den Tisch gelegt. Die Zielsetzung des heutigen
Schulwesens kann wohl auch weiterhin auf einer täuferisch-mennonitischen Basis, umgeben von deutschem und paraguayischem
Kulturgut, aufgebaut werden. Es müsste aber auch den heutigen Umständen und Anforderungen Rechenschaft getragen werden,
unter denen die zu Erziehenden doch ständig mit einer Konsummentalität und den Folgen der Globalisierung konfrontiert werden.
In dieser Hinsicht werden sich auch die mennonitischen Schulen den neuen Anforderungen stellen müssen. Kriterien, die für
eine aktuelle Zielsetzung in Betracht gezogen werden können, sind Offenheit, Kritik-, Kontakt-, Reflexions- und
Entscheidungsfähigkeit. Der effektivere Umgang mit diesen Kriterien, eingebettet in ein multikulturelles Verständnis, könnten dem Schüler eine
Hilfe sein, seine eigene Identität zu finden und zu leben.
3.4. Spannungsfeld Schule - Gemeinde - Kolonie
Die enge Zusammenarbeit der Gemeinden mit den Schulen war charakteristisch für das mennonitische Schulwesen in
Russland und wurde auch auf die Situation in Paraguay übertragen. In den meisten Fällen kann es nicht so gesehen werden, dass sich
die Schulen die Gemeinden als Kontrollinstanz wünschten. In Menno dagegen wurde dieses Verhältnis zwischen Schule
und Gemeinde in den ersten Jahrzehnten des Bestehens mit viel Hingabe gepflegt. In der Kolonie Fernheim bestand anfänglich
durch die vorherrschende Not der Ansiedlung ein gutes Verhältnis zwischen den beiden genannten Institutionen, das während
der völkischen Zeit abflaute und nach 1944 wieder stark von den Gemeinden und dem MCC gefördert wurde. Der damalige
Einfluss des MCC hat wohl auch einiges zum fundamentalistischen Gedankengut in den mennonitischen Siedlungen beigetragen.
Die Gemeinden sahen einfach die Notwendigkeit, nach Recht und Ordnung in der Schule zu schauen. Diese Überwachung
des Erziehungsrahmens durch die Gemeinden hat bis heute in vieler Hinsicht, und nicht nur in Fernheim, angehalten. Die
Kolonieverwaltung machte sich wohl für den administrativen und finanziellen Bereich des Schulwesens verantwortlich, aber über
den inhaltlichen Teil des Schulwesens wachten größtenteils die Gemeinden. Verstärkt wurde der Einfluss der Gemeinde auch
noch dadurch, dass eben auch immer eine gewisse Anzahl von Lehrern gleichzeitig Prediger war und die große Mehrzahl der
Lehrer Gemeindeglieder. Der Einfluss der Gemeinden soll hier auch nicht prinzipiell negativ gewertet werden.
Diese oft unausgeglichene Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Schule hat immer wieder erhebliche Spannungen
hervorgerufen, d.h. Konfrontationen zwischen den konservativ-kirchlichen und den progressiv-kulturellen
Kräften.
(26) Die Mitbestimmung der Gemeinden im Schulwesen konnte man z.B. bei der Lehreranstellung, Beurteilung von Theaterstücken,
Aufführung von Tänzen usw. beobachten. Der Einfluss der Gemeinden ist zum Teil in den letzten Jahren nicht mehr so stark, und
auch besonders ein Außenstehender kann diese Dynamik nicht so leicht wahrnehmen und verstehen. So schreibt Jens
Gehrmann Innerhalb der Kolonien unterstehen die Schulen der Kolonieverwaltung, nicht den Gemeinden, und sie weisen in bezug auf
ihre Infrastruktur und die jeweiligen Unterrichtsfächer einen hohen Grad an Modernität
auf".
(27) Diese Aussage deutet auf
einen reduzierten Einfluss der Gemeinden auf das Schulwesen hin und auf einen zunehmenden Säkularisierungsprozess im
Schulwesen. Der Autor bezieht sich besonders auf das letzte Jahrzehnt.
Man kann aber auch beobachten, dass die Diskussionen über das Mitspracherecht der Gemeinden in der Erziehungsarbeit
oft stark personenbedingt war. Dadurch, dass man die ganzen Dinge oft nur mit der
Fundamentalismus-versus-Fortschritt-Schablone" abdeckte, konnte in vielen Fällen keine produktive Zusammenarbeit erzielt werden. Die eine Seite wehrte sich gegen
die Offenheit des Liberalismus" und die anderen wollten sich vom Joch der
K.f.K."
(28) befreien. Heinz Dieter Giesbrecht
spricht davon, dass die Gemeinden immer mehr Gefahr laufen, zu einer Volkskirche zu werden. Stattdessen sollten sie sich mehr auf
die täuferisch-biblischen Werte wie freiwilliges Leiden und Verzichten, Dienen, Sich aufopfern und Teilen" konzentrieren.
Bei dieser Forderung kommt unwillkürlich die Frage auf, warum die Gemeinden so viel Energie in diesen Bereich investieren.
Sie könnten ihre Vorstellungen über die Grundausrichtung der Erziehungsarbeit in offener und begründeter Stellung zum
Ausdruck bringen und sich dann mehr um eine aktive und dynamische Gemeindearbeit bemühen. Interessant ist auch Neufelds
Aussage zu dieser Thematik
...Am Beunruhigsten knarrt es wohl aber doch im Gebälk unserer eigenen Gemeinden. Die mennonitische K.f.K., die
in Zeiten von gegenseitiger Anfeindung oder auch in den Pioniersituationen eine hilfreiche Funktion ausübte,
erweist sich zunehmend als ein Hindernis für dynamischen Gemeindeaufbau. Das liegt wohl nicht nur daran, dass sie sich
im gewissen Sinn als Hüterin der Tradition versteht, sondern vor allem auch, weil sie als wachendes Auge die
Christianisierung gewisser Gesellschaften und geografischer Ortschaften glaubt gewährleisten zu müssen. Diese
Entwicklung wird widersprüchlicherweise begleitet durch einen zunehmenden Verlust von Autorität und Einfluss der Gemeinden
in ihrem kulturellen Umfeld".(29)
Wo liegen wohl die Gründe dafür, dass die Gemeinden zunehmend an Autorität und Einfluss verlieren? In Anbetracht der
oben angeführten Überlegungen wäre es bestimmt sinnvoller, wenn die Gemeinden nicht auf Grund von autoritärem Auftreten
und sturen Beharren auf überkommenen Formen stark in der Erziehungsarbeit mitmischten, sondern sich an erster Stelle auf
die aktive Gemeindearbeit konzentrieren würden. Sie könnten aber mit Hilfe eines offenen und aktiven Dialoges dazu betragen,
den Identifizierungsprozess der zu Erziehenden zu fördern, besonders auch in der Definition der Glaubensbasis für die
Erziehungsarbeit. Die Gemeinde könnte die charakteristischen Merkmale eines täuferischen Mennoniten in einem realistischen
Zusammenhang mit den heutigen Umständen erarbeiten, wobei man auch eine besondere Anstrengung machen müsste, über den
Kolonierahmen hinaus zu schauen. Wenn dem Jugendlichen ein von der Gemeinde klar definiertes Konzept bezüglich
Mennonitsein" zur Verfügung steht, wird er sich auch besser mit diesem Bereich identifizieren können. Für ihn müssen das persönliche
Verhältnis mit dem dreieinigen Gott, die Gemeindezugehörigkeit durch die Glaubenstaufe und der Pazifismus dynamische
Begriffe werden, um sich damit identifizieren zu können. Solange es aber bei der Vermittlung von unbegründeten Formen und
Verboten bleibt, wird kein tief gehender Identifizierungsprozess stattfinden und es wird weiter im Gebälk der Gemeinden knarren".
Der Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit müsste der offene Dialog und gegenseitiges Vertrauen sein.
3.5. Ausgeglichene Integration
Die wohl größte Herausforderung des mennonitischen Schulwesens in Paraguay in der heutigen Zeit ist eine
ausgeglichene Integration in das nationale Umfeld, ohne dabei das deutsche Kulturgut und die täuferisch-mennonitische Basis zu
verlieren. Auch in Russland kann man in den letzten Jahrzehnten des Daseins der Mennoniten eine zunehmende Integration, wenn
oft auch durch äußeren Druck, beobachten. Die Integration des Schulwesens in Paraguay wird wohl wie weiter oben erklärt,
auf einem dreischichtigen Fundament beruhen: mennonitische, deutsche und paraguayische Bausteine. Wenn diese Steine
sachgerecht ineinander gefügt werden, können sie ein stabiles Fundament abgeben. In allen drei Fällen ist ein kritisches
Auseinandersetzen mit dem jeweiligen Kulturgut erforderlich. Sonst bleibt es bei einer oberflächlichen Kenntnis deutschen Biers
und Sauerkrautes, Michael Schuhmacher und Schlagerparade. In Paraguay kennen wir dann nur Korruption, Faulheit,
Fälschung und Mau-Autos. In dieser Hinsicht haben wir einen weiteren Punkt, dem in Zukunft noch mehr Rechenschaft getragen
werden muss. Die Erziehung des Schülers zu einem mündigen Staatsbürger hin, der sich seiner Rechte und Pflichten bewusst ist.
Dazu müsste der Educación Cívica - Unterricht" für die mennonitischen Bedürfnisse sachgerechter ausgebaut werden. Dies
kann dann natürlich wiederum dazu führen, dass man in Zukunft noch mehr aktive, aber vielleicht besser vorbereitete Politiker aus
den eigenen Reihen gewinnt.
Wenn sich die kulturelle Entwicklung der Mennoniten in Russland durch eine Verwandlung von einer Kult- zu einer
Kulturgemeinschaft hin charakterisierte, so gibt es auch immer wieder Ansätze unter den Mennoniten in Paraguay, die
täuferisch-mennonitischen Glaubenselemente von der ethnisch-kulturellen Umwelt zu trennen. Dieses Bestreben ist aber durch die
gegebenen Umstände sehr schwierig oder vielleicht sogar unmöglich. In dieser Hinsicht wäre es leichter, die jeweiligen
Bereiche klarer zu definieren, statt sie voneinander trennen zu wollen. Man kann und müsste wohl eine Anstrengung unternehmen,
sich mehr vom Begriff des ethnischen Mennonitentums zu distanzieren, um auch Offenheit für nicht deutschstämmige
Mennoniten und Glaubensbrüder zu zeigen. Denn die Tatsache, dass die deutschstämmigen Mennoniten zahlenmäßig auf fast gleicher
Höhe mit den nicht deutschstämmigen Mennoniten in Paraguay stehen, sollte schon Grund zum Nachdenken geben. Eine
immer intensivere Begegnung mit den nicht deutschstämmigen Mennoniten, heute schon 13.000 - 14.000 Gemeindeglieder, wird
zwangsläufig erfolgen müssen. Wenn aber die deutschstämmigen Mennoniten, die Mennoniten aus einem anderen kulturellen
Umfeld bewusst nicht ernst nehmen, erscheinen auch sie nicht mehr glaubwürdig.
Diese Umstände erfordern eine verstärkte Begleitung der Jugendlichen bei der Suche nach ihrer Identität. Es erfordert aber
auch viel Wissen, Verständnis und Geschicklichkeit von Seiten der Erzieher, mit dieser komplexen Situation sachgerecht
umzugehen, ein Begleiten, das wohl weniger aus Worten und mehr aus dem praktischen Vorleben der Erwachsenen bestehen
könnte. Außerdem beinhaltet die Suche nach der eigenen Identität auch immer die Suche nach Lebenswerten. Diese findet man in
der Regel erst auf Grund gewisser Erfahrungen und einem längeren Reifeprozess. Doch eine offene, kritische, objektive,
reflexive, flexible, kreative, aber auch standfeste Auseinandersetzung mit dem täuferisch-mennonitischen und dem deutschem
Erbe, eingebettet in die paraguayische Kultur, werden uns und den nächsten Generationen die Möglichkeit bieten, sich mit
diesem Erbe zu identifizieren, um es in einer pluralistischen Gesellschaft bewusst zu pflegen.
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Fussnoten:
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Lic. Hans Theodor Regier, Studium der Geschichte an der nationalen Universität in Paraguay. Gegenwärtig als Lehrer an der
Sekundarschule in Friesland tätig und zugleich Arbeit an einer Dissertation.
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|
Fröse, Leonhard. Das pädagogische Kultursystem der mennonitischen Siedlungsgruppen in Russland. Göttingen, 1949. S. 181.
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|
|
Warkentin Dr. Jakob. Die deutschsprachigen Siedlerschulen in Paraguay im Spannungsfeld staatlicher Kultur- und
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|
|
Fröse, Leonhard. Das pädagogische Kultursystem der mennonitischen Siedlungsgruppen in Russland. Göttingen, 1949. Anhang S. 12 ff.
|
|
Ebd., S. 106.
|
|
Ebd., S. 79 ff.
|
|
Hack, Hendrik. Die Kolonisation der Mennoniten im paraguayischen Chaco. Königliches Tropeninsitut, Amsterdam, 1961, S. 170 ff.
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Hack, Hendrik. Die Kolonisation der Mennoniten im paraguayischen Chaco. Königliches Tropeninsitut, Amsterdam, 1961, S. 19.
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|
Quriring Dr. Walter. Deutsche erschließen den Chaco. Karlsruhe. Verlag Heinrich Schneider, 1936, pp. 173.
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Ebd., S. 176.
|
|
Klassen, Wilhelm. Mennoblatt 2, Juli 1931, S. 2.
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|
Klassen, Peter P. Die Mennoniten in Paraguay, Band I. Asunción, Impr. Modelo, 1988, S. 236 ff.
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|
Klassen, Wilhelm. Mennoblatt 2, Juli 1931, S. 3.
|
|
Warkentin, Dr. Jakob. Vortrag auf einer MennCoSur - Tagung in Menno am 17. August 2000 gebracht.
|
|
Warkentin, Dr. Jakob. Die deutschsprachigen Siedlerschulen in Paraguay im Spannungsfeld staatlicher Kultur- und
Entwicklungspolitik. Waxmann Verlag GmbH, Deutschland, 1998, S. 229 ff.
|
|
Ebd., S. 229 ff.
|
|
MCC an die Kolonie Fernheim am 15.6.1940. Archiv der Kolonie Fernheim.
|
|
Ebd., S. 277 ff. Bemerkung: Es werden einige Auszüge zitiert.
|
|
Ebd., S. 282.
|
|
Die Lehrer Peter Wiens und Peter P. Klassen fuhren 1952 mit der finanziellen Unterstützung des MCC nach Basel für ein Weiterstudium.
|
|
Ratzlaff, Gerhard. Ein Leib - viele Glieder. Die mennonitischen Gemeinden in Paraguay. Asunción, Gemeindekomitee, 2001, S. 348.
|
|
Neufeld, Alfred. Gemeinde der Glaubenden oder mennonitische Volksgemeinschaft. Ethnokonfessionalität als mennonitisches
Problem. Vortrag gehalten auf einer Delegiertenkonferenz der Vereinigung der Mennoniten Brüdergemeinden Paraguays. Blumental, Fernheim,
27. Januar 2001.
|
|
Siehe dazu auch die Arbeit von Edgar Neufeld: Neufeld, Edgar. Erziehungsziele in der Kolonie Fernheim. Eine historische und
theologische Analyse. Asunción, Instituto Bíblico de Asunción, 1995, S. 118.
|
|
Klassen, Peter P. Die Mennoniten in Paraguay, Band I. Asunción, Impr. Modelo, 1988, S. 256 ff.
|
|
Gehrmann, Jens. Modernisierung und Tradition. Sozialer Wandel bei den Mennoniten in Paraguay. Mennonitische
Geschichtsblätter. Mennonitischer Geschichtsverein, Deutschland, Jahr 2000, S. 118
|
|
K.f.K. = Kommission für Kirchenangelegenheiten. Ein Zusammenschluss aller Gemeinden in den mennonitischen Kolonien.
|
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Neufeld, Alfred. Gemeinde der Glaubenden oder mennonitische Volksgemeinschaft. Ethnokonfessionalität als mennonitisches
Problem. Vortrag gehalten auf einer Delegiertenkonferenz der Vereinigung der Mennoniten Brüdergemeinden Paraguays. Blumental, Fernheim,
27. Januar 2001.
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