Nachfolge

Es ist allgemein anerkannt, dass die täuferisch-mennonitische Glaubenstradition die zentrale Bedeutung der Nachfolge Christi betont hat. Bezeichnend für diese Haltung ist der Ausspruch von Hans Denck: Niemand kann Christus in Wahrheit erkennen, es sei denn, dass er ihm nachfolge in seinem Leben. Harold S. >Bender hat Nachfolge in seiner Epoche machenden Programmschrift zum Wesen des Täufertums neben Gemeindebezug und Friedensethik zu den drei Wesensmerkmalen mennonitischer Glaubensüberzeugungen gezählt.
Die kanadisch-mennonitischen Einwanderer verstanden unter Nachfolge in besonderer Weise Demut, ethische Lauterkeit und Redlichkeit sowie Bereitschaft, der Gemeindeordnung und ihren >Ältesten Folge zu leisten. Die russlanddeutschen Gemeinden, stark vom pietistischen und baptistischen Erweckungsgeist geprägt, betonten die Notwendigkeit der persönlichen Bekehrung als Beginn auf dem Weg der Nachfolge und Heiligung. Letzteres wurde als Beweis echter Bekehrung gesehen und gegebenenfalls durch Gemeindedisziplin bei Fehlverhalten neu eingefordert.
Theologisch gesehen ist unter Nachfolge besonders eine lebendige Verbindung mit Christus sowie das Befolgen seiner in der Bergpredigt und an anderer Stelle geäußerten radikalen Forderung der Hingabe und Heiligung verstanden worden. Insofern kann man zu Recht sagen, dass das Täufertum in dieser Frage weder katholisch noch protestantisch einzuordnen ist, denn sowohl Werkgerechtigkeit als auch eine Gnadentheologie ohne klare ethische Konsequenzen wurden abgelehnt. Allerdings muss pastoral festgehalten werden, dass die mennonitisch starke Betonung der Ethik und Nachfolge vielfach zu überhöhten Schuldgefühlen und einer verminderten Schau von Gnade und Vergebung sowie zu gelegentlichen unbarmherzigen Gemeindedisziplinarhandlungen geführt hat.
Das mennonitische Nachfolgeverständnis und die daraus entstehende Friedenstheologie sind besonders im Zweiten Weltkrieg in eine schwere Krise geraten. In Russland wurden viele junge Leute in die deutsche Wehrmacht zwangsrekrutiert. In den Kolonien war manch ein mennonitischer Bürger auf Grund der Frustration und finanzieller Not bereit, die >Wehrlosigkeit und teilweise wohl auch eine feste Gemeindebindung aufzugeben, um nach Europa rückwandern zu dürfen.
Auch das moderne Evangelisationsverständnis der Massenevangelisten oder der darbistischen Bewegung haben die Betonung der Nachfolge geschwächt. Denn dort wurde vielfach zwischen Christus als Retter und Christus als Herrn unterschieden. Die Rettung der eigenen Seele wurde in den Vordergrund gestellt, Nachfolge und Jüngerschaft als ein zweiter, manchmal etwas vernachlässigter Schritt behandelt. Hier hat andererseits das Buch von Dietrich Bonhoeffer über Nachfolge und seine Ablehnung der ‚billigen Gnade’ sowie verschiedene neue ‚Jüngerschulungsprogramme’ einiges wieder korrigiert. Auch die Wiederbelebung täuferischer Theologie und Identität in den spanisch- und deutsch-mennonitischen Gemeinden stellt das Thema Nachfolge und verbindliche Gemeindezugehörigkeit sowie die Radikalität der biblischen Ethik wieder in den Vordergrund. Dies ist besonders nötig angesichts von wachsendem Wohlstand und zunehmender Präsenz der Lust- und Konsumgesellschaft.
Eine besondere Herausforderung stellt die Gelegenheit und Aufforderung zur politischen Beteiligung seit dem Sturz der Stroessner-Regierung 1989 dar. Weil das täuferische Nachfolgeverständnis durchaus im Kontrast zu den Praktiken der umgebenden Gesellschaft empfunden wird, stellt sich die Frage, ob christliche Nachfolge in politischer Verantwortung möglich und ratsam ist. Das Mennonitische Friedenskomitee und andere kirchliche Agenturen sind bemüht gewesen, zu dieser Problematik Richtlinien zu erarbeiten. Dabei sind die Bücher von John Howard Yoder ‚Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung’ und ‚Die Politik Jesu. Der Weg des Kreuzes’ Richtung weisend gewesen.
Alfred Neufeld