Zuschriften | Jahrbuch 2001
Zur Klärung des Begriffs Altkolonier"
Heinrich Ratzlaff
Im Jahrbuch für Geschichte und Kultur der Mennoniten in Paraguay", Jahrgang 1, November 2000, herausgegeben vom
Verein für Geschichte und Kultur der Mennoniten in Paraguay" befindet sich ein Beitrag von Hans Theodor Regier unter der
Überschrift: Die Altkolonier in Paraguay". Darin werden irrtümlicherweise auch die Sommerfelder, die Bergthaler und die
Kolonien Reinfeld und Santa Clara zu den Altkoloniern" gezählt. Das Missverständnis kommt wahrscheinlich daher, dass die
mennonitische Gruppe, auf die sich der Name Altkolonier" exklusiv bezieht, im Verhältnis zum Gesamtmennonitentum nur klein ist
und selbst kaum einmal von sich reden gemacht hat, und dass daher oft nicht zwischen Herkunft und exklusiver
Bezeichnung unterschieden wird. Nach der bloßen Herkunft aus der ältesten mennonitischen Kolonie in Russland, nämlich Chortitz,
wären auch viele Neuländer und wohl auch manche Fernheimer als Altkolonier zu bezeichnen.
Die ausschließliche Bezeichnung dieser Gruppe als Altkolonier" ist in Manitoba entstanden. Die Mennonite
Encyclopedia" welche die Entstehung dieses Begriffes im 4. Band ausführlich behandelt, stellt gleich im ersten Satz kurz und präzise
fest: Altkolonier Mennoniten, eine sozioreligiöse Gruppe, die in Manitoba entstanden
ist".
(1) Der geschichtliche Werdegang,
der dazu geführt hat, dass die Gruppe diese Bezeichnung erhielt, wird in der Mennonite Encyclopedia, besonders aber auch
von Martin W. Friesen in seinem Buch Neue Heimat in der Chacowildnis" ausführlich behandelt.
Wegen der entstandenen Landnot in der ältesten mennonitischen Kolonie in Russland, Chortitza, wurde im Jahre 1836 etwa
200 Kilometer nach Süden hin die erste Tochtersiedlung gegründet. Sie erhielt nach dem Dorf, in welchem sich das
Verwaltungszentrum befand, den Namen Bergthal. Land in der Nähe der alten Siedlungen war wohl nicht mehr zu erwerben. Daher
pachtete später eine andere Gruppe, ebenfalls aus der alten Siedlung Chortitza, Land von einem Fürsten und gründete dort 5 Dörfer.
Die Siedlung erhielt den Namen Fürstenland". Die Bewohner beider Tochtersiedlungen stammten also aus der alten Kolonie
und viele waren bestimmt noch miteinander verwandt. Die Ältesten dieser beiden Gemeinden z.B. waren Vettern. Der Älteste
der Bergthaler Gemeinde hieß Gerhard Wiebe, der Älteste der Fürstenländer Gemeinde Johann Wiebe.
Als die russische Regierung in die mennonitischen Privilegien eingriff, waren es zuerst die Bergthaler, die sich auf
keinen Kompromiss einließen, sondern bis auf wenige Familien, geschlossen das Land verließen und nach Kanada
auswanderten. Zuvor hatten sie Delegierte ausgeschickt, in ganz Nordamerika Siedlungsmöglichkeiten in Verbindung mit allen
traditionellen Sonderrechten zu erkunden. Die Fürstenländer hörten davon und fassten den Entschluss, sich dieser
Auswanderungsbewegung anzuschließen. Dazu schreibt Martin W. Friesen in dem erwähnten Buch:
Als die Bergthaler im Jahre 1873 ihre Deputierten nach Amerika geschickt hatten, waren auch die Fürstenländer
an dieser Erkundigung interessiert gewesen. Sie hatten aber von ihren Brüdern niemanden mitgeschickt, sondern
nur bestellt, die Bergthaler Deputierten möchten auch für sie Siedlungsmöglichkeiten ausfindig machen. Das hatten
die Bergthaler Brüder getan".
Hier bestand also noch eine ungetrübte Eintracht zwischen diesen Gemeinden. Die Bergthaler Delegation hatte sich für
Kanada entschieden und im südlichen Manitoba beiderseits des Red River Land reserviert. Die beiden Landstücke erhielten nach
der Himmelsrichtung die Bezeichnungen Ostreserve" und Westreserve". Die Bergthaler hatten für sich den östlichen Teil
erwählt, weil dort Wald und einzelne Bäume waren. Der westliche Teil war offene Prärie, aber fruchtbarer, wie sich später
herausstellte. Daher siedelten später viele aus dem östlichen Teil in den westlichen Teil über. Die Fürstenländer kamen ein Jahr später
und siedelten im westlichen Teil. Ihnen hatten sich in Russland viele auswanderungswillige Familien aus der alten Kolonie
Chortitza angeschlossen. Weil diese selbst keinen Ältesten unter sich hatten, schlossen sie sich der Gemeinde der Fürstenländer
unter dem Ältesten Johann Wiebe an und bildeten mit diesen zusammen eine geschlossene Gruppe. Martin W. Friesen schreibt dazu:
In Manitoba bildeten nun die Fürstenländer mit den ihnen sich angeschlossenen Familien aus Chortitza eine
geschlossene Siedlungsgruppe und eine selbständige Gemeinde, die zunächst noch keinen gemeinsamen Namen
hatte. Sie wählten sich dann den Namen `Reinländer Mennonitengemeinde'. Von den anderen wurden sie jedoch einfach
die `Altkolonier' genannt".
In der Mennonite Encyclopedia" heißt es:
Die Bergthaler Delegation hatte während ihrer Untersuchungsreise 1873 offensichtlich die Ostreserve für sich
ausgewählt und die Westreserve für die Fürstenländer und die Familien aus Chortitza gelassen, von welchen die ersten
im Jahre 1875 in der Westreserve eintrafen. So entstand in der Westreserve die Siedlung der Mennoniten aus
dem Fürstenland und aus Chortitza, wo sie die `Reinländer Mennonitengemeinde' gründeten, die später als die
`Altkolonier Gemeinde' bekannt wurde. Anfänglich wurde diese Bezeichnung angewandt, um sie von den Bergthalern zu
unterscheiden. Offensichtlich gab es niemals einen Grund, die Fürstenländer Mennoniten von denen aus Chortitza
zu unterscheiden, die zusammen auf der Westreserve ansiedelten".
Hier ist es, und dies sind sie. Diese Gruppe und spätere Gruppen, die als Nachkommen von diesen Altkoloniern"
stammen, werden in der mennonitischen Literatur unter dem Namen Altkolonier" behandelt, so zuerst wohl von Walter
Schmiedehaus, dann von Leonhard Sawatzky, Calvin Redekopp u.a. Die Festigung dieses Begriffs und auch der starke Unterschied in
der Lebensgestaltung der Altkolonier liegt aber wohl hauptsächlich in dem späteren Zerwürfnis mit den Bergthalern begründet,
mit welchen sie in der Auswanderungssache aus Russland noch so harmonisch zusammengearbeitet hatten. Das Zerwürfnis
kam dadurch zustande, dass die Altkolonier", wie sie nun genannt wurden, eine besonders starke Abgrenzung von der
Welt" durch strikte Formen in Kleidung, Gesang, Siedlungsform, Häuserbau und innere Einrichtungen usw. anstrebten und die
Bergthaler aufgrund ihrer liberaleren Einstellung darin nicht mitmachten. Sie strichen ihre Häuser an, trugen Krawatten, fuhren
später Autos und gebrauchten Telefon, Radio und elektrischen Strom usw. Friesen schreibt: Denn wie sie es in Russland
miteinander verabredet hatten, wollten sie gemeinsam vorgehen". Der Älteste Gerhard Wiebe hatte aber in Kanada viel von seiner
Autorität eingebüßt und konnte daher diese Verabredung nicht mehr einhalten.
Der Konflikt hat sich anscheinend zuerst in der Frage des Kirchengesanges entzündet und sich dann später durch andere
Dinge verschärft. Friesen schreibt: Zwischen den Altkoloniern und Bergthalern entstand aber in der Folgezeit, als zu diesem
Gesangeskonflikt noch andere Unstimmigkeiten hinzukamen, eine Kluft, die nicht mehr überbrückt werden konnte. Es hat auch
später keine Zusammenarbeit mehr gegeben". Und an anderer Stelle:
Die Spannung zwischen den zwei Gemeinden wuchs sich allmählich zu einer unüberbrückbaren Kluft aus. Die
Altkolonier untersagten schließlich ihren Gliedern jeglichen Verkehr mit den Bergthalern. Es war eine trübe Zeit
bitterster Auseinandersetzungen wegen in Wirklichkeit unwesentlicher Dinge. Die Altkolonier isolierten sich jetzt nach
allen Seiten und ließen sich mit keiner anderen Gemeinde mehr ein, pflegten auch in keinerlei Angelegenheiten mehr
Gemeinschaft mit anderen. Selbst in der schweren Zeit des I. Weltkrieges, als die Gemeinden Manitobas und
Saskatchewans die Fragen der Wehrfreiheit und der Schulfreiheit erneut gemeinsam besprachen und geschlossen damit vor die
Regierungsbehörden traten, beteiligten sich die Altkolonier an keiner der Verhandlungen und Besprechungen. Sie
hielten vielmehr ihre Beratungen abgeschlossen von allen anderen und traten auch nur von sich aus und allein mit
ihren Fragen vor die obrigkeitlichen Behörden".
So ist es im Großen und Ganzen bis heute geblieben. Nur in Mexiko hat durch eine langwierige Arbeit von auswärts nach
und nach zum Teil eine Öffnung stattgefunden. Ein großer Teil der Altkolonier wanderte im Jahre 1922 nach Mexiko aus. Dort
haben sie sich zahlenmäßig am stärksten entfaltet und im Laufe von Jahrzehnten auch ihre Art am stärksten gefestigt.
Von außen veranlasste Änderungen in neuerer Zeit haben dann dazu geführt, dass einzelne Gruppen wieder den
Wanderstab ergriffen, um irgendwo in der Welt noch eine Stelle zu finden, wo eine Lebensführung in ihrer Art nicht bedroht zu sein
schien. Auf diese Weise sind die Kolonien Rio Verde, Nueva Durango und Manitoba in Ostparaguay sowie viele Kolonien in
Bolivien entstanden.
Die Nachkommen der ursprünglichen Bergthaler haben später auch verschiedene neue Gemeinden und Siedlungen
gegründet, die sich aber wohl alle eigenständig entwickelt haben, wie z.B. die Kolonie Menno im Chaco sowie Sommerfeld, Bergthal
und Reinfeld in Ostparaguay und einige Siedlungen in Mexiko und Bolivien. Die Siedler von Santa Clara sind über Mexiko
nach Paraguay gekommen. Manche von ihnen halten auch auf strenge Formen und eine niedrige Schulbildung. In der Annahme
und im Gebrauch auch modernster technischer Einrichtungen haben sie meist aber keine Hemmungen. Auch ist ihre Kleidung
nicht einheitlich.
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Fussnoten:
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Dieses und folgende Zitate sind Übersetzung des Autors.
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