Begleitwort zu dieser Nummer | Jahrbuch 2002
Diese Nummer des Jahrbuchs des Vereins für Geschichte und Kultur der
Mennoniten in Paraguay, steht unter dem Thema: "Einwanderung
kanadischer Mennoniten in Paraguay". Als Teil der Jubiläumsfeier der
Kolonie Menno wurde vom Geschichtskomitee dem Schulrat der Kolonie ein
Symposium organisiert, dessen Vorträge hiermit publiziert werden. Der
Aufsatz von Herrn Sieghard Schartner wurde auf einer Lehrertagung in
Loma Plata kurz vorher gehalten. Er wurde hier hinzugefügt, um einen
kleinen Seitenblick auf die Lage der Mennoniten in Bolivien zu
ermöglichen.
75 Jahre sind ein volles Menschenalter. Diese Zeitspanne steht zwischen
uns heute und den Pionieren die damals in die Chacowildnis eindrangen.
Ihre Perspektiven waren nicht glänzend. Der Blick in die Zukunft war
ihnen wie auch uns verhüllt. Sie mussten auf den Glauben bauen, und
vielleicht auch auf die eigene erprobte Tüchtigkeit. Aber voraussehen,
ob sich im Chaco etwas entwickeln würde, wie es sich entwickeln würde
- das konnten sie nicht. Hinzu kommt, dass sich unsere Welt seit der
Aufklärung und der industriellen Revolution immer schneller verändert.
Die Zeit hier in Paraguay hat sicherlich mehr Veränderungen mit sich
gebracht als die ersten 75 Jahre in Russland oder die 50 Jahre in
Kanada. Und wir können davon ausgehen dass dieser Prozess sich noch
beschleunigen wird.
Die Jubiläumsfeier war ein Anlass rückwärts zu schauen. Wir dürfen
davon ausgehen, dass die geschichtliche Perspektive auch
richtungweisend für die Zukunft ist. Mir gefällt immer wieder das Bild
vom "Picada-machen" hier im Chaco: Ein paar "Fuden" werden gestellt,
und dann schaut der Bulldozerfahrer nach hinten um die gerade Linie
zu behalten. Historisch gesehen ist das natürlich etwas komplizierter,
aber das Prinzip gilt.
Das Geschichtskomitee in Menno hatte den guten Gedanken, als Teil der
Jubiläumsfeierlichkeiten auch ein Symposium zu organisieren, auf dem
es nicht nur um die Feier des Fortschritts oder um Folklore ging,
sondern wo die geschichtliche Bilanz etwas ernsthafter gezogen wurde.
Dort wo die großen Muster, die Zusammenhänge der Entwicklung erarbeitet
werden, ist bessere Orientierung möglich. Dort wo Geschichte auch
kritisch betrachtet wird, kann man sie ernst nehmen. Denn etwas zu
kritisieren, bedeutet, damit zu sympathisieren. Das was mir nahesteht,
das was mich wirklich angeht, das will ich verantwortlich und kritisch
erforschen, weil ich damit weiterleben will.
Vom Verein für Geschichte und Kultur der Mennoniten in Paraguay haben
wir diese Initiative mit Interesse verfolgt. Möglicherweise kann diese
Erfahrung auch für andere Kolonien eine Anregung sein, ihre Jubiläen zu
einem Anlass gründlicher Beschäftigung mit der Vergangenheit zu machen.
Der kulturelle Teil dieser Ausgabe ist etwas erweitert worden. Durch
die Reaktionen mancher Leser haben wir als Redaktionsteam erfahren,
dass die Beiträge in diesem Teil gern gelesen werden. Gerade hier
möchten wir auch Mut machen, sich zu beteiligen. Manche der Themen,
die uns als Gesellschaft wirklich ange-hen, lassen sich in Form
literarischer Erzählungen vielleicht besser vermitteln als in
wissenschaftlichen Aufsätzen. Kreativität ist hier gefragt. Erstmals
ist auch ein plattdeutscher Beitrag eingesandt worden. Um größere
Beteiligung zu erreichen, wäre es auch denkbar, dass Deutschlehrer
in den Sekundarschulen diesen Raum nutzen, um besonders ansprechende
Arbeiten zu publizieren.
Mehrere Bücher sind von Personen der Kolonie Menno als Beitrag für das
Jubiläum herausgegeben worden. Es handelt sich teils um recht
persönliche Lebenserfahrungen, die jedoch ihren Wert gerade im
Kontext der eigenen Siedlungsgeschichte erlangen. Sie, zusammen
mit einigen anderen Neuerscheinungen über die Mennoniten in Russland,
in Paraguay, - sowie über die Mission unter den Indianern werden in
den Buchbesprechungen kurz vorgestellt.
Im Jahrbuch 2001 war beim Vortrag von Dr. Alfred Neufeld ein Fehler
unterlaufen. Durch Missverständnisse bei verschiedenen Versionen war
der Teil mit den Schlussfolgerungen nicht hineingekommen. Wir bringen
ihn als Nachtrag in dieser Nummer und bitten um Verständnis.
Den Deckel für diese Nummer des Jahrbuches verdanken wir der
Künstlerin Frau Maria Friesen aus Loma Plata. Vielen Dank! Allen
Schreibern, die am Inhalt dieser Nummer mitgewirkt haben, sei an
dieser Stelle gedankt. Ich hoffe, dass den Geschichtsfreunden in
den deutschsprachigen Kreisen der Mennoniten in Paraguay und auch
den Lesern im Ausland, hiermit wieder eine nützliche Veröffentlichung
in die Hände gelegt wird. Zu überlegen wäre, ob wir in Zukunft auch
für spanischsprachige Leser/innen eine ähnliche Publikation
bereitstellen können.
Gundolf Niebuhr, Schriftleiter