Begleitwort zu dieser Nummer | Jahrbuch 2003
Die in den Chaco eingewanderten Mennoniten waren ein
Agrarvolk. Die bäuerliche Lebensweise war nicht notwendig ein Bestandteil
ihres Glaubens, aber es war über Generationen eindeutig die bevorzugte
Lebensweise geworden. Das Leben auf dem Land und vom Land hatte schon in
Preußen, zu einer Denkweise geführt, in der Land und Existenzmöglichkeit
als synonym angesehen wurden. Die Militiarisierung Preußens führte zu
Konflikten mit den pazifistischen Mennoniten, wodurch ihnen die damaligen
Fürsten das Recht auf Ausdehnung ihres Landbesitzes absprachen. Dass dies
eine empfindliche Sanktion war, die den Lebensnerv eines Agrarvolkes
treffen musste, war allen klar und war von den Herrschern wohl auch so
beabsichtigt.
War die Ausdehnung des Landbesitzes in Preußen
zuallererst durch das natürliche zahlenmäßige Wachstum der Dörfer bedingt,
so kam in Russland während des 19. Jh. das auf Expansion gerichtete,
unternehmerische Element dazu. Johann Cornies gilt als die Person welche
die technische Revolution und neue Formen der Marktwirtschaft und des
Unternehmertums in die mennonitische Kultur einpflanzte. Von da an gehörte
es zum guten Ton, zum gesellschaftlichen Ansehen des tüchtigen Bauern und
zu den Erwartungen einer neuen Marktwirtschaft, dass der Landbesitz nach
Möglichkeit ausgedehnt werden musste um die Produktivität zu erhöhen.
Viel Land, gutes Land, wurde für uns Russlandmennoniten
zu einem äußerst wichtigen Begriff. Die Werbung um deutsche Bauern vom
Fürsten Potemkin und Katharina der Großen, hatte den Eindruck gegeben dass
Südrussland nur spärlich besiedelt sei, dass somit viel Land zur Verfügung
stehe. Es stellte sich aber bald heraus, dass dem nicht so war. Es war
sogar ziemlich dicht besiedeltes Land. Die Ausdehnungsmöglichkeiten waren
schon für die ersten Tochterkolonien kompliziert; oft konnte Land
überhaupt nur gepachtet werden. Als viele Mennoniten im 19. Jh. nach
Kanada zogen, hofften sie auf den weiten Prärien genügend Land zu finden
und mussten feststellen dass die ihnen zugewiesenen Landstriche am Red
River nicht menschenleer waren. Gruppen eines Stammes von Einheimischen
lebten dort. Und selbst im „gänzlich unbewohnten Chaco" den H. S. Bender
in seiner berühmt gewordenen Rede von 1930 anpries, waren Menschen da,
Ureinwohner, die dieses Land seit Jahrhunderten ihre Heimat nannten. Sie
waren zwar bereit, diese mit den Neuankömmlingen zu teilen, nicht jedoch,
sie abzutreten.
Wenn man mennonitische Blätter oder auch historische und
theologische Fachjournale durchgeht, muss es auffallen dass die Thematik
von Landbesitz und -nutzung zwar wiederholt zur Sprache kommt aber selten
eingehender behandelt wird. Dabei lässt sich nicht übersehen dass es, wo
das Denken einer Gemeinschaft noch nicht ganz säkularisiert ist, auch zu
einer theologischen und ethischen Frage werden muss. Im Alten Testament
war dies jedenfalls eine ganz zentrale Frage.
Bei uns in Paraguay hat es in den letzten zwei
Jahrzehnten eine ziemlich starke Bewusstmachung in Sachen Umweltschutz und
Formen der Landnutzung gegeben. Landbesitz und das Zusammenleben
mit andern Kulturen ist Bestandteil dieser Frage, die sich nicht auf
Dauer an den Rand der Diskussion schieben lässt.
Die gegenwärtige Ausgabe des Jahrbuches war als eine
orientierende Bestandsaufnahme zu diesem Thema gedacht, und als Ermutigung
zum Weiterdenken. Nicht alle zugesagten Beiträge kamen ein, so dass das
Ziel nur unvollkommen erreicht werden konnte.
Die im kulturellen Teil gesammelten Erzählungen,
Berichte und Reisebeschreibungen, bieten Einblick in den Prozess der
Erschließung des Chaco während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Dass verschiedene Interessen und Gruppen mit beteiligt waren in diesem
Prozess, wird ersichtlich. Als wesentlicher Faktor muss auch noch der
Chacokrieg erwähnt werden, der die Öffnung dieses Gebietes stark
beschleunigte.
Allen Schreibern sei an dieser Stelle gedankt. In der
Hoffnung dass die hier gesammelten Beiträge zur weiteren Forschung
beitragen werden, empfehlen wir auch dies Jahrbuch 2003 allen geschätzten
Lesern.
Gundolf Niebuhr
Agronom Robert Unruh
im Gespräch mit einem Bauern auf Yalve Sanga,
ca. 1965