Kulturelle Beiträge | Jahrbuch 2003
Ein Kreuz in der Chacowildnis
Uwe Friesen, Ebenfeld
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Das Pionierkreuz - Symbol für den "Verein für Geschichte und Kultur der Mennoniten in Paraguay"
Im Museum der Kolonie Menno in Loma Plata befindet sich ein Kreuz aus Holz, das dem Besucher beim Rundgang auffallen muss.
Es ist ein Kreuz, das eine lange Geschichte und zudem symbolisch eine wichtige Bedeutung für die mennonitischen Siedler im Chaco
hat, besonders für die kanadischen Mennoniten, die 1927/28 in den paraguayischen Chaco einwanderten.
Wie kam das Kreuz ins Museum von Loma Plata? Eine lange Geschichte geht dem voran.
Besagtes Kreuz wurde während der Expedition, die im Mai 1921 den Chaco auf Siedlungsmöglichkeiten untersuchte, auf einem
der offenen Graskämpe östlich vom heutigen Filadelfia an einen großen Urundey geheftet. Es sollte ein Zeichen dafür sein, dass die für
die Eingeborenen seltsame Gruppe einen wichtigen Meilenstein zur Urbarmachung des Chaco gesetzt hatte. Eine Gruppe, die sich
aus Personen verschiedener Hautfarben, Kulturen und Konfessionen zusammensetzte, und deshalb auch als charakteristisch für die
wirtschaftliche und kulturelle Erschließung des Chaco gilt.
In dem Buch Neue Heimat in der Chacowildnis" 2. Auflage, erschienen im September 1997, beschreibt Martin W. Friesen, wie es
zu diesem Kreuz kam und welche Bedeutung demselben zugemessen wurde.
Es war im Mai 1921. Seit Beginn des Monats waren die Landsuchenden in der unerforschten Chacowildnis unter Anleitung von
Herrn Fred Engen unterwegs, um mögliches Siedlungsland zu finden, wo man ungestört und nach eigener Überzeugung siedeln und
leben könnte, um den Glauben, die deutsche Sprache und die Traditionen der Väter und Großväter weiter ungestört zu erhalten und
zu pflegen.
Der 19. Mai 1921 war der letzte Tag, an dem die Karawane westwärts zog. Immer noch war offenes Grasland _ Bittergras, das aber
als solches nicht erkannt wurde _ zu finden, durchzogen von Einzelbäumen und Sträuchern. Am späten Nachmittag dieses 19. Mai
meinte dann der Expeditionsführer Fred Engen, dass man genug gesehen habe und umkehren wolle. Nicht alle waren dafür, aber da
Engen darauf bestehen blieb, machte man kehrt.
Etwa 8 km weiter zurück wurde das Nachtlager aufgeschlagen, und an dem Abend gab es für die Gruppe einen saftigen Asado",
der sehr gut mundete. Man hatte dazu bei den Indianern, die in dieser Zone wohnten, ein Schaf gegen ein Hemd eingetauscht. Vom
Wetter wurde berichtet, dass der Himmel bewölkt war und ein leichter kühler Südwind über die öde Gegend wehte.
Zu den Ereignissen am Freitag, dem 20. Mai, lassen wir M.W. Friesen berichten:
An diesem Tag ritten Engen, Hettmann und die vier Mennoniten um 8.00 Uhr wieder los, um noch einiges mehr in
der Umgebung zu beschauen. Die Karrettenfahrer blieben mit Ochsen und Karren an der Stelle, wo alle diejenigen, die von
der Hauptkarawane aus noch weiter nach Westen vorgestoßen waren, die Nacht verbracht hatten. Die sechs Männer
schritten dann einen längeren Indianerpfad entlang, ihre Reitpferde an den Zügeln führend. Sie stießen dann auch auf ein
Indianerlager. Die Indianer hatten hier auch einen Brunnen ihrer Art. Drei von den Indios gingen dann mit ihnen, die Gegend zu besehen.
Sie kamen wieder auf eine breite Grassavanne. Auch hier zeigten die Indianer ihnen einen Brunnen, oder besser gesagt,
eine Wasserstelle. Die Expeditionsmänner entnahmen der Zeichensprache der Indios, dass diese Wasserstelle niemals
austrockne. Da sie eine gewisse Frische des Wassers festzustellen meinten, sagten sie sich, hier könne es sich um Quellwasser handeln".
Der zentrale Chaco war zu jener Zeit noch unbekannt und unerforscht, so dass ein Vorhandensein von Quellen nicht ausgeschlossen
zu sein schien. Dieses blieb unklar, bis die mennonitischen Siedler 1927/28 in dieses unerforschte, unbekannte Gebiet vordrangen
und bald feststellten, dass von Quellen in dieser Gegend keine Rede sein könne. Engen kannte damals noch mehr Stellen, wo er
Quellwasser vermutete. Die Siedler erlebten es dann aber 1927, wie diese Quellen" unter ihren Händen austrockneten.
Doch zurück zu der Delegation.
Diese befand sich jetzt in dem Gebiet, in dem 1930 die Russ1änder Fernheim gründen sollten, nicht weit von Trébol. Um 12 Uhr
legten diese sechs Männer, die zu Pferd noch weiter gen Westen geritten waren, eine Mittagspause ein. Herr José Casado hatte ein Symbol
aus Holz anfertigen lassen, eigens für den Zweck, es am westlichsten Punkt, den die Expedition erreichen würde, an einen Baum zu
heften. Diese Männer hatten es bei sich, und sie einigten sich, es gerade hier, wo sie jetzt waren, an einen hohen, gegabelten Urundeybaum
zu heften. Es war ein Kreuz mit einer Mondsichel darüber. Dieses Symbol wurde später dort von Fernheimern entdeckt und
heruntergenommen. Heute ist es in Loma Plata, im Museum, zu sehen. Die Gravierungen, die es trägt, sind heute kaum zu erkennen: McR
- CASADO - FE - CH - ME - XX - V- XXI". Die Zeichen sind wie folgt zu verstehen: McR=McRoberts, FE=Fred Engen,
CH=Carlos Hettmann, ME=Mennonitische Expedition, XX - V _ XXI = 20. Mai 1921.
Aber ehe sie sich dann wieder für den Ritt zurück zur Karawane aufmachten, gedachten sie noch in schwungvollen und in wohl
auch bewegten Reden der bedeutungsvollen Mission, die mit dem Vordringen in diese unerforschte, große Wildnis, die in einem
unheimlichen Schweigen dalag, verbunden war. Herr Engen pries den Mut, den die mennonitischen Delegierten gezeigt hatten, so tief in
dieses weltferne Gebiet vorzustoßen. Er gab zu verstehen, dass die Teilnehmer dieser Expedition wahrscheinlich die ersten Weißen seien,
die ihren Fuß auf dieses Gebiet gesetzt hätten. Wenn Engen mit der Geschichte Südamerikas bzw. Paraguays gut vertraut gewesen
wäre, dann hätte er noch hinzufügen müssen, dass die Spanier im 16. Jahrhundert vielleicht hier auch schon vorbeigekommen sein
könnten, als sie vom Paraguayfluss aus durch den Gran Chaco Boreal nach Westen, auf dem Wege zum Goldland Perú gezogen waren.
Engen unterstrich die Bedeutung des Symbols, das sie hier, hoch an einem Baum, in geheimnisumwitterter Wildnis, zurückließen.
Er sprach von dem Kreuz, dem Symbol des Christentums, und, dass sie die ersten seien, die es hier jetzt aufgestellt hätten. Damit
sollte gesagt werden, dass das Zeichen für den Einzug des Christentums in diese weltvergessene Busch- und Grasöde jetzt gesetzt sei.
Die Mondsichel, führte er weiter aus, bedeute, als zunehmender Mond (wiewohl sie umgekehrt über das obere Ende des
Holzkreuzes gestülpt war), den Anfang des Einzugs der Zivilisation in dieses unwirtliche Naturgebiet. Dieses schlichte Symbol sollte ein
Zeugnis dafür sein, dass sie - diese Expedition - als untersuchungsbeauftragte Gruppe bis hierher gekommen war. Die Männer glaubten, mit
der Erkundung dieses Gebietes eine wunderbare Entdeckung gemacht zu haben. Es schien ihnen ein Gebiet zu sein, in dem es möglich
sein würde, im Zeichen des Friedens auch die Entwicklung eines materiellen Wohlstandes zu erreichen.
So wurde jene Mittagsrast dort unter einem großen Baum, an den man dieses vielsagende Symbol befestigt hatte, zu einem
historischen Ereignis, einem Ereignis von weitgehender und weittragender Bedeutung. Und das nicht nur für die kanadischen Mennoniten,
sondern weit darüber hinaus für viele verfolgte und fliehende Glaubensbrüder und _schwestern aus verschiedenen Teilen der Welt.
Weiter nimmt Friesen bezug auf die sonderbare Zusammensetzung der Delegation, welche diesen symbolischen Akt durchführte
und das Kreuz an den Urundey heftete und besondere Beachtung verdient:
Angefertigt war es nämlich in Puerto Casado von Menschen katholischen Glaubens, mitgenommen und angeheftet wurde
es von Mitgliedern der protestantischen Konfession und von Mennoniten. Grundsätzlich gehören die Mennoniten ja zum
protestantischen Lager. Sie wurden aber vor einigen Jahrhunderten von den anderen Protestanten nicht weniger verfolgt als von
den Katholiken. Sie wurden also von beiden nicht anerkannt. Beide sahen die Mennoniten als eine schädliche Sekte an. Jetzt
aber bestand keine besondere Spannung mehr zwischen ihnen und den anderen. Man kann an diesem Ereignis feststellen,
welche Gemeinsamkeit in der kulturellen Erschließung des Chaco an den Tag trat.
Nach jener bewegten Besinnung unter dem Urundeybaum in weltverlassener Busch- und Savannenöde, machten die
sechs Männer sich wieder auf und ritten zurück zu den zwei Karretten und deren Besatzung. Zusammen begaben sie sich dann
zu dem übrigen Teil der Expeditionskarawane, wo auch die zwei Mennoniten schon auf ihre Kollegen warteten.
Nun waren sie wieder alle zusammen auf Km 300, einem Ort, der später unter der Bezeichnung Km 216 bekannt wurde. Er
lag in der Nähe des späteren Mennodorfes Chortitz. An diesem Abend gab es eine besondere Mahlzeit. Man hatte sich von
den Indios wieder Schafe eingehandelt, und nun wurde ein Guiso", ein landestypisches paraguayisches Gericht, zubereitet.
Es wird auf verschiedene Arten bereitet. Hier war es Reisbrei mit Schaffleisch. Im Tagebuch unserer Männer findet man, dass
es sehr gut geschmeckt hat."
56 Jahre später: Die Kolonie Menno, von mennonitischen Einwanderern kanadischer Herkunft gegründet, feiert sein
50-jähriges Bestehen. Auf dem offiziellen Festakt, wo Glückwünsche von den Gästen an die Siedlung überbracht wurden, gab die Verwaltung
der Nachbarkolonie Fernheim dieses geschichtsträchtige Kreuz an Menno zurück". Peter P. Klassen schreibt dazu in einem Brief am
25. April 2003: Der Bauer in Kleefeld, auf dessen Acker der Urundey mit dem Kreuz stand, fällte den Baum und heftete das Kreuz
an seinen Hausgiebel. - Nikolai Siemens, Schriftleiter des Mennoblattes, war damals Lehrer in Kleefeld. Er sah das Kreuz, erkannte
den Wert und nahm es mit. Lange blieb es dann im Haus der Familie Siemens, bis Fernheim ein kleines Museum eröffnete. Dort wurde
das Kreuz dann aufbewahrt. Die Fernheimer Kolonieverwaltung beschloss dann (auf meinen Vorschlag), Menno das Kreuz anlässlich
des Jubiläums zu überreichen. Wir ließen damals auch das Kästchen dafür herstellen."
Welche Stationen dieses Kreuz gemacht hat, beschreibt auch Frau Frieda Siemens Käthler im Mennoblatt Nr. 13 vom 1. Juli 1988
Seite 5. Da dieses Dokument Einzelheiten über den Zug des Pionierkreuzes bringt, soll es hier für sich sprechen:
Da sah ichs wieder im Mennoblatt Nr. 10. _ Sehr interessant fand ich die Geschichte der Entstehung des Kreuzes. _
Wie bekannt dieses wertvolle Holz für mich ist! Es gehört zu meiner Kindheit; denn es begleitete uns durch Jahrzehnte. Erst
stand es in unserm engen Eßzimmer in Friedensruh, das auch als Setzstube und Druckerei dienen mußte, und es wurde von
einer Ecke in die andere geschoben, wenn Raum fehlte. Später stand das Kreuz in Filadelfia in dem ersten Druckereizimmer
am Westende unseres Wohnhauses und nachher in der Druckerei unter dem Schuppen im südlichen Teil unseres Hofes.
Hätte mein Vater mit seiner Liebe und seinem Sinn für Geschichte dieses wertvolle Andenken nicht gerettet, es wäre
längst verbrannt oder vermodert. Hier ist seine Geschichte:
Unser Vater, Nikolai Siemens, war 1931 und 1932 Lehrer im Dorf Kleefeld. Eines Tages besuchte er den Bauern
Abram Sawatzky am Ende des Dorfes. Auf dem Bauernhof wurden gerade Urundey-Bäume, die sich hier in Mengen
befanden, gefällt. An einem dieser Bäume hing das Kreuz. _ Vater, der den Wert erkannte, nahm es zu sich und brachte es mit
nach Friedensruh, wo wir wohnten.
Als wir dann im Jahre 1934 _ Vater war Schriftleiter des Mennoblattes _ nach Filadelfia zogen, kam das Kreuz mit. Hier
fand es auf engem Raum immer Platz, und es gehörte einfach zu unserem Haushalt.-
Schon lange hatte Papa für ein Museum plädiert. Für das 25jährige Jubiläum Fernheims war es dann endlich so weit, daß
ein bescheidenes kleines Museum eingerichtet wurde. Nun gab mein Vater das uns liebgewordene Kreuz her. _ Nach 22
weiteren Jahren schenkte Fernheim es der Kolonie Menno, wohin es eigentlich gehörte."
Jetzt hat das Kreuz der Pioniere seine Runde abgeschlossen und steht im Museum in Loma Plata. Es erinnert daran, dass
einmal Landsucher da waren, die hier das verheißene Land" fanden, wo man als mennonitische Volksgruppe siedeln könne, und dessen
Ruf viele folgten. Dem Zeugnis dieser Expedition ist es also zu verdanken, dass im Nachhinein Tausende deutschstämmige
Mennoniten aus Nordamerika, Europa und Asien, angetrieben durch verschiedene Motive, einwanderten, siedelten und eine neue Heimat fanden.