Kulturelle Beiträge | Jahrbuch 2003
Das weinende Gürteltier
(1)
Robert Ketcham
Die alten Ayoreos sagten: Der Jaguar war früher ein Mensch. Stark und stolz ging der Jaguar durch den Chacobusch und ließ alle
Tiere wissen, dass ihn niemand besiegen könnte. Er schrie immer wieder, dass er der Größte und Mächtigste sei im ganzen Land, und
alle Tiere glaubten ihm.
Die alten Ayoreos sagten: Das Gürteltier war früher ein kleiner Mensch. Eines Tages begegneten sich der Jaguar und das Gürteltier
auf einem kleinen Kamp. Der Jaguar machte dem Gürteltier verständlich, dass es ihm immer zu gehorchen habe. Das Gürteltier war
damit einverstanden, dachte aber bei sich, das mächtige Tier möchte ich doch noch etwas ärgern, und sprach: Lieber Herr Jaguar,
ich respektiere dich als das stärkste aller Tiere in unserem Gebiet, aber weißt du, seit heute früh habe ich solche Schmerzen im
Bauch, kannst du mir nicht helfen? Ach, meine Schmerzen, mein Bauch!"
Das Gürteltier legte sich auf den Rücken, der Jaguar untersuchte es, drückte dabei seine Nase fest auf den Bauch des Gürteltiers
und seine Schnurrhaare kitzelten das Gürteltier. Es krümmte sich vor Lachen und klemmte seinen Panzer dabei fest in die Nase des
Jaguars. Es ließ nicht los.
Der Jaguar schrie vor Schmerzen, lief im Kreis herum und bat das Gürteltier, doch seine Nase nicht zu zerdrücken. Schließlich gab
der Jaguar den Kampf auf, setzte sich und weinte und bettelte um seine Freiheit.
Endlich ließ das Gürteltier sich bereden und machte sich von der blutenden Nase des Jaguars frei.
Dann kamen viele Tiere auf den Kamp und freuten sich, dass das kleine Gürteltier den großen Jaguar zum Weinen gebracht hatte.
Die Tiere sagten dem Jaguar: Du bist nicht der Mächtigste, du bist auch nicht unbesiegbar".
Fussnoten:
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Sage der Ayoreoindianer, nacherzählt von Missionar Robert Ketcham.
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