Begleitwort zu dieser Nummer | Jahrbuch 2004
„Mennoniten und Politik“ war für die Mennoniten in
Paraguay lange kein Thema, dem man große Aufmerksamkeit schenkte. Meistens
begnügte man sich mit der Feststellung, dass die Mennoniten hier
apolitisch seien, der jeweiligen Regierung den geforderten Gehorsam
entgegenbrachten und ansonsten sich unter dem Schutz des Privilegiums –
Gesetz 514 – sicher und geborgen fühlten. Sie mischten sich nicht in die
Landespolitik ein, sondern waren nur darauf bedacht, dass ihre
administrative und ökonomische Unabhängigkeit möglichst gewährleistet
blieb.
Das änderte sich, als mit dem Sturz des langjährigen
Präsidenten Alfredo Stroessner im Jahre 1989 sich die politische
Landschaft im Sinne der Demokratisierung zu verändern begann. Die
einzelnen Departamentos sollten nun nicht mehr von einem
Regierungsbeauftragten, sondern von einem von der Bevölkerung gewählten
Gouverneur regiert werden. Die Munizipalitäten ebenso. Hinzu kam, dass die
traditionelle Parteienlandschaft durch die Bildung der politischen
Sammelbewegung Encuentro Nacional aufgelockert wurde und die Stimmabgabe
bei den landesweiten Wahlen für die Mennoniten dadurch an Bedeutung
gewann. So wurde damals ein mennonitischer Gouverneur im Departament
Boquerón sowie ein mennonitischer Abgeordneter desselben Departaments für
das Abgeordnetenhaus gewählt. Damit standen die „Stillen im Lande“
plötzlich im Licht der Öffentlichkeit, und die Gemeinden taten sich
schwer, sich mit dieser neuen Situation abzufinden.
Inzwischen ist die mennonitische Beteiligung an der
Regierung fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Mennoniten
haben inzwischen nicht nur einen mennonitischen Gouverneur, sondern auch
einen Minister, einen Vizeminister, einen Präsidentenberater, einen
Abgeordneten sowie einen Senator. Grund genug, sich einmal intensiv mit
der Frage „Mennoniten und Politik“ zu befassen. Der Verein für Geschichte
und Kultur der Mennoniten in Paraguay hat diesen Gedanken aufgegriffen und
ihn zum Thema des diesjährigen Geschichtssymposiums, das am 21./22. Mai
dieses Jahres in Filadelfia stattfand, gemacht. Die Vorträge dieses
Symposiums sind in diesem Jahrbuch abgedruckt.
Der Vorstand des Geschichtsvereins wollte das Thema
nicht auf die Mennoniten in Paraugay beschränken, sondern der Frage in
Form einer Längsschnittanalyse nachgehen, die mit den Täufern beginnt,
dann die Situation in Preußen und Russland schildert, um sich dann den
Mennoniten in Paraguay zuzuwenden.
Diesem Konzept folgend behandelt Abraham Friesen,
langjähriger Reformationshistoriker an der Universität in Santa Barbara,
Kalifornien, zunächst die politische Haltung der Täufer, um sich dann in
einem zweiten Vortrag den Mennoniten in Russland zuzuwenden. Er weist
nach, dass die politischen Normen im 16. Jahrhundert für die Beteiligung
der Mennoniten an der Politik ungünstig waren, so dass sie eine solche
Partizipation weitgehend ablehnten. Anders gestaltete sich die Situation
in Russland, wo sich nach anfänglicher Isolation zwei Gruppierungen
bildeten. Die einen traten für die weitgehende Absonderung ein und, als
diese nicht mehr aufrecht zu erhalten war, setzten sie sich für die
Auswanderung ein. Die anderen befürworteten eine Assimilierung der
Mennoniten in Russland und traten daher für die Beteiligung an der Politik
ein. Welchen Wechselbädern die Mennoniten dabei ausgesetzt waren, zeigt
Friesen in seinen inhaltsreichen Ausführungen.
Gerhard Ratzlaff stellt detailliert die schwierige
politische Situation der Mennoniten in Preußen dar. Bald waren sie unter
polnischer, bald unter preußischer Verwaltung. Gebraucht wurden sie von
beiden Regierungen, aber sowohl der evangelischen als auch der
katholischen Kirche waren sie ein Dorn im Auge. Das führte wiederholt zu
Einschränkungen, so dass die Einladung von Katharina der Großen, nach
Russland zu kommen, bei den Mennoniten auf fruchtbaren Boden fiel und zu
einer großen Auswanderung führte. Sehr ausführlich schildert Ratzlaff dann
die Erfahrungen der Mennoniten mit der Politik in Paraguay, wobei er einen
Wandel in der Einstellung festgestellt hat. Die Mennoniten sind
offensichtlich nicht mehr bereit, dass man mit ihnen eine Politik treibt,
auf die sie keinen Einfluss haben, sondern treten bewusst aus der
Isolation heraus und setzen sich nicht nur für die eigenen Interessen,
sondern für die Belange aller Bürger in Paraguay ein.
Jakob Warkentin geht unter sozialpsychologischer
Fragestellung den Nachwirkungen der Erfahrungen während der „völkischen
Zeit“ in Fernheim nach und kommt zu dem Schluss, dass man auf Grund der
schmerzlichen Trennungserlebnisse in den dreißiger und vierziger Jahren
auf kritische und von der Mehrheit abweichende Meinungen sowie auf
mögliche Gruppenbildung überempfindlich reagiert. Es hat den Anschein, als
wolle man die Einheit der Gemeinschaft um jeden Preis erhalten und
versuche daher, den Kultursektor unter kirchlicher und administrativer
Kontrolle zu halten.
Gundolf Niebuhr fragt nach dem christlichen
Friedenszeugnis, dem auch die Mennoniten in Paraguay verpflichtet sind.
Dabei arbeitet er John Howard Yoders Grundgedanken einer Friedenstheologie
heraus und bezieht sie dann auf die Mennoniten in Paraguay.
Aufschlussreich und anregend sind vor allem seine „Impulse aus Yoders
Denken für uns.“
Die Zusammenfassung der Podiums- und Plenumsdiskussion
von Beate Penner zeigt, dass die Mennoniten in Paraguay dabei sind, ihren
Standpunkt bezüglich ihrer Beteiligung an der Politik zu finden. Es gibt
Befürworter, die davon überzeugt sind, dass der gute Einfluss der
Mennoniten sich auch in der Staatspolitk bemerkbar machen müsse, während
andere vor zuviel Euphorie und Optimismus warnen.
Im kulturellen Teil sind wir bemüht, Berichte und
Erzählungen zu veröffentlichen, die informativ und unterhaltend sind und
gleichzeitig zum Nachdenken anregen. Es ist nicht leicht, mennonitische
Autoren aus Paraguay für diesen Teil zu gewinnen. Umso dankbarer sind wir
für die Beiträge, die uns zugeschickt werden. Dieser Dank gilt vor allem
Eugen Friesen, der sich wiederholt zu Wort gemeldet hat und auch dieses
Mal interessante Geschichten liefert.
Einen informativen Bericht liefert Cornelius J. Dyck,
der seinerzeit MCC-Direktor in Asunción war und zusammen mit Dr. John
Schmidt selber maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Leprastation Km
81 für viele Menschen zum Segen geworden ist, sowohl für die zahlreichen
CD-Arbeiter als auch für die dort betreuten Patienten.
Wir danken allen Teilnehmern des Geschichtssymposiums
für ihre Beiträge und wünschen den Lesern, dass die vorliegenden Aufsätze
und Geschichten als Anregung für eine vertiefte Beschäftigung mit der
behandelten Thematik dienen.
Jakob Warkentin
Staatspräsident Nicanor D. Frutos und Gouverneur von
Boquerón, David Sawatzky beim Rodeo Trébol, 2004.
Foto von Hans Dürksen