Begleitwort zu dieser Nummer | Jahrbuch 2007
„Mennoniten und Literatur“,
dieses Thema ist uns weniger geläufig als z. B. „Mennoniten und
Wirtschaft“ oder „Mennoniten und Gesang“. Und doch, wenn man einmal
genauer hinschaut, haben die Mennoniten auf literarischem Gebiet durchaus
etwas zu bieten. Die Mennoniten in Kanada haben darin besondere
Verdienste, in Paraguay ist die Belletristik bis heute nur schwach
entwickelt. Dies war dem Verein für Geschichte und Kultur der Mennoniten
in Paraguay Grund genug, sich im Rahmen eines Symposiums mit diesem Thema
zu befassen.
Harry Loewen, der viele Jahre den Lehrstuhl für
Mennonitische Studien an der University of Winnipeg inne hatte, war
bereitwillig unserer Einladung gefolgt und hielt drei Vorträge auf dieser
Veranstaltung. Er sprach über seinen persönlichen Weg zur mennonitischen
Literatur und erläuterte am Beispiel mehrerer Schriftsteller den Aufbruch
in der kanadisch-mennonitischen Literatur. Es fällt auf, dass die
gegenwärtigen mennonitischen Dichter in Kanada sich weit mehr mit den
Problemen und Chancen der Mennoniten in der Gegenwart als mit denen ihrer
Vorfahren in Russland auseinandersetzen. Nicht die „heile Welt“, wie sie
viele Flüchtlinge und Auswanderer aus der Sowjetunion noch in Erinnerung
haben, sondern der Mensch in einer zerrissenen und widersprüchlichen Welt
steht im Mittelpunkt ihrer Darstellungen. Auf diese Weise, so Loewen in
seinem letzten Beitrag, trage die Literatur durchaus zum Selbstverständnis
und zur Lebensbewältigung bei.
Gundolf Niebuhr hob in seinen Ausführungen hervor, dass
Belletristik bei den Mennoniten in Paraguay erst in Ansätzen vorhanden
sei. Das liege weniger an der mangelnden Begabung unter den Siedlern,
sondern vielmehr an der Skepsis vieler Leser diesem Genre gegenüber,
besonders wenn es sich dabei um mennonitische Autoren handle. Vorschnell
werde von den Lesern die Frage gestellt, ob das Dargestellte auch wirklich
der Wahrheit entspreche, wobei Wahrheit und Wirklichkeit miteinander
verwechselt würden. Hinzu komme, dass Schriftsteller in der Gesellschaft
oft marginalisiert würden in dem Bewusstsein, dass ein Buch doch wenig
nütze im Vergleich zu einer „auf Hochglanz polierten Wirtschaft“.
Die Frage nach dem Nutzen und der Bedeutung der
Literatur für die Mennoniten in Paraguay wurde daher zu Recht noch einmal
von Jakob Warkentin in seinem Vortrag gestellt. Dabei stellte er fest,
dass gerade in abgeschlossenen Gegenden Bücher die „Fenster zum Himmel und
zur Welt“ seien. Bücher dienten als Quelle des Wissens und der Erkenntnis
und könnten durchaus zur Lebensbewältigung beitragen. Das hätten viele
Siedler besonders in der Ansiedlungszeit erfahren. Lebenspraktische Bücher
hätten daher im Vergleich zur schöngeistigen Literatur immer noch den
Vorzug bei Jung und Alt.
Da bei den Mennoniten in Paraguay das „Plautdietsch“ als
tägliche Umgangssprache immer noch eine wesentliche Rolle spielt, ist es
sinnvoll, sich von Zeit über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den
regionalen Varianten Rechenschaft zu geben. Johan Thiessen, der sich
jahrelang mit der plattdeutschen Sprache im Rahmen seines Studiums in Kiel
befasst hat, referierte auf dem Symposium über Veränderungen im
„Plautdietsch“ zwischen Anpassung und Abgrenzung. Sprachkontakte zwischen
den verschiedenen Kolonien würden das herkömmliche Platt ebenso verändern
wie sprachliche Einflüsse durch die umgebende Bevölkerung. Das zeigte der
Referent an mehreren Beispielen auf.
Der kulturelle Teil ist wieder einmal kürzer ausgefallen
als der erste Teil. Wir sind aber froh, dass wir immer wertvolle Beiträge
erhalten, die da zeigen, dass bei uns durchaus Ansätze zur Belletristik
vorhanden sind, auch wenn diese noch weiter entfaltet werden sollten.
Peter P. Klassen hat wieder einmal eine sehr lesenswerte Erzählung
beigesteuert, die nicht nur angenehm zu lesen ist, sondern auch zum
ernsthaften Nachdenken anregt. Beate Penner zeigt erneut, dass sie
Erfahrungen aus Geschichte und Gegenwart aufgreifen und in Form einer
Erzählung dem Leser nahe bringen kann. Dass ein Student in Paraguay nicht
nur routinemäßig sein Fachstudium in Asunción absolviert, sondern sich
auch über Gott und die Welt Gedanken macht, wobei ihm Dichter und
Philosophen anregende Hinweise geben, beweist Eugen Friesen mit seinen
„Uberlegungen eines Studenten“. Hannes Kalisch, dem es um das gegenseitige
Verständnis zwischen den Kulturen geht, hat in einer Kurzgeschichte
aufgezeigt, wie verschieden doch die Welt der Mennoniten und die Welt der
Indianer im paraguayischen Chaco ist. Welchen unterschiedlichen
Stellenwert die Arbeit im Denken und Handeln der Mennoniten sowie der
Indianer einnimmt, zeigt die in Plattdeutsch wiedergegebene Darstellung
von Uwe Friesen „Oba nich bie mie.“
Ein paar Früchte als Nachlese von der Jubiläumsfeier der
Flüchtlinge, die vor 60 Jahren über den Amur aus der Sowjetunion geflohen
sind, haben uns Heinrich Ratzlaff und Wilfried und Anita Hein zur
Verfügung gestellt.
Einige Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt im Chaco
werden dem interessierten Leser durch die Buchbesprechungen empfohlen. Es
wäre wünschenswert, wenn die Leser die hier erschienenen Bücher nicht nur
lesen, sondern sie auch kaufen würden. Damit würden sie die Autoren, die
viel Arbeit und Geld in die Publikation eines Buches stecken, ein klein
wenig unterstützen.
Allen, die zu diesem Jahrbuch einen Beitrag geleistet
haben, sage ich im Namen des Vereins für Geschichte und Kultur meinen
verbindlichen Dank!
Jakob Warkentin