Schulze

Schulze wird der gewählte Vorsteher einer Dorfgemeinschaft in den >Kolonien genannt. Seinen Ursprung hat das mennonitische Schulzenamt in Preußen. Es ist im Laufe der Zeit ein wesentlicher Bestandteil des Kolonisations-Mennonitentums russischer Tradition geworden. In Preußen weigerten die Mennoniten sich allerdings zunächst, das “weltliche” Amt eines Schulzen zu übernehmen, weil man meinte, es sei nicht vereinbar mit ihren Glaubensprinzipien. So musste notgedrungen der Gemeindeälteste die anfallenden “weltlichen” Angelegenheiten ehrenamtlich neben seinem geistlichen Amt erledigen. Doch 1678 erklärte der Älteste in Danzig, dass auf dem Lande, wo es nicht zu umgehen sei, d. h. wo die Mennoniten die große Mehrheit eines Dorfes bildeten, öffentliche Ämter auch von Mennoniten angenommen werden dürften. Schon bald erkannten die Mennoniten die Vorteile, einen Schulzen aus ihren Reihen zu haben. Als dann 1720 die Lutheraner den Mennoniten das Schulzenamt verwehren wollten, erklärten die Mennoniten des kleinen Marienburger Werders, dass sie bei der Schulzenwahl mit den Lutheranern gleichberechtigt behandelt werden möchten. Diese Bitte wurde ihnen von der zuständigen Obrigkeit zugesagt. Die Mennoniten in Preußen lebten nicht in geschlossenen Siedlungen wie später die Mennoniten in Russland und in Paraguay.
In den mennonitischen Siedlungen in Russland war der Schulze eines Dorfes und der >Oberschulze einer Kolonie eine Selbstverständlichkeit und in der russischen Siedler-Gesetzgebung verankert. Die Verantwortung und die Aufgaben waren den Schulzen in den “Instruktionen” von der kaiserlichen Regierung vorgeschrieben. Sie hatten über das moralische und wirtschaftliche Wohl des Dorfes zu wachen. In 14 Punkten waren die Verordnungen für die Schulzen und ihr Verhältnis zu dem übergeordneten Direktor festgehalten: Die Schulzen müssen bei hoher Strafe alles dem Befehlshaber [Direktor] rapportieren und sich für alles Übel des Dorfes verantworten. Und weiter: Sollte die Gemeinde [Bürgergemeinde] die Schulzen nicht hören und nicht respektieren wollen, so steht es ihm frei, wie in allen Ländern, mit dem Prügel dreinzuschlagen. Und zum Schluss die Aufforderung: Diese 14 Punkte soll ein jeder Schulze bei sich haben, wie auch ein jeder Lehrer der Gemeinde, und sollen alle Monat in der Kirche laut und deutlich vorgelesen werden, damit ein jeder weiß ohne Ausrede, was er zu tun hat, … (Epp 1989, 117-118). Weiter haben sie pflichtmäßig darauf zu sehen, … dass die Kolonisten sich nicht dem Müßiggange, Trunkenheit und der Verschwendung ergeben oder Freveltaten begehen; … dass arme und gebrechliche Kolonisten unter keinem Vorwand sich herum treiben, oder betteln gehen … Die Schulzen sind schuldig mit aller Macht es dahin zu bringen, dass die Üppigkeit und Verschwendung unter den Kolonisten ausgerottet werde … Die Schulzen haben streng darauf zu sehen, dass ein jeder Wirt sein Wohnhaus, Scheune, Stallungen und Umzäunungen in bester Ordnung, Reinlichkeit und Reparatur erhalte … Die Schulzen sind verpflichtet in jedem Dorf strenge darauf zu halten, dass auf die Gassen keine Unreinlichkeit geworfen, sondern immer gehörig gereinigt werden… (Keller 2000, 74-82).
Alle Belange, die das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben betrafen, wurden auf den Dorfsbürger-Versammlungen, die man in Platt Schultebott nannte, verhandelt. Die Mennoleute brachten ihr von Russland nach Kanada gebrachtes Schulzensystem nach Paraguay. Das von den Mennoniten in Russland gepflegte Schulzensystem wurde somit nach Paraguay verpflanzt. In Paraguay waren es aber in erster Linie die Gründer der Kolonie Fernheim, die dieses Verwaltungsmuster aus Russland in reinster Form zur Anwendung brachten, meint der Historiker Peter P. >Klassen (Klassen 1988, 217). Im Gegensatz zu Russland waren die >Mennoniten in Paraguay keiner obrigkeitlichen Kontrolle unterworfen, die Last der Verantwortung war daher nicht so groß. In der Regel waren die Dorfgemeinschaften in Paraguay kleiner und lockerten sich durch die Auswanderung zunehmend auf. Auch die verbesserte Verkehrslage und moderne Kommunikationssysteme sowie die zunehmende Zentralisierung haben den Aufgabenbereich des Dorfschulzen stark reduziert.
Gerhard Ratzlaff
D.H. Epp: Die Chortitzer Mennoniten. Odessa, 1889; Mennonitisches Lexikon. Karlsruhe, Deutschland, 1967, Band IV, 117-118; Hendrik Hack: Die Kolonisation der Mennoniten im paraguayischen Chaco. Amsterdam: Königliches Tropeninstitut, 1961; Konrad Keller: Die deutschen Kolonien in Südrussland. Band I. Odessa: Verlag Stadelmeier, 1905 und Band II, Odessa: Kommissionsverein, 1914 (Neuauflage in einem Band: Historischer Forschungsverein der Deutschen aus Russland e.V., 2000); Horst Penner: Die ost- und westpreußischen Mennoniten in ihrem religiösen und sozialen Leben, in ihren kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen, Teil I, 1526 bis 1772. Weierhof: Mennonitischer Geschichtsverein e.V., 1978, S. 160-168; Peter P. Klassen: Die Mennoniten in Paraguay. Reich Gottes und Reich dieser Welt. Bolanden-Weierhof: Mennonitischer Geschichtsverein e.V., 1988, S. 214-222; Peter P Klassen. und Peter Wiens (Hg.): Jubiläumsschrift zum 25jährigen Bestehen der Kolonie Fernheim, Chaco Paraguay. Winnipeg: Echo-Verlag, 1956; Horst Penner: “Mennonitische Schulzen und Oberschulzen im westpreußischen Weichseldelta”. In: Mennonitische Geschichtsblätter, 43./44. Jg. 1986/87, S. 119-121.