Unter Fatalismus oder fatalistischer Weltanschauung versteht man allgemein den Glauben an die Determiniertheit alles Geschehens. Schicksalsgläubigkeit geht davon aus, dass das Ergehen des Einzelnen und z. T. der Völker unbekannter, unbeeinflussbarer Fremdbestimmung unterliegt. Gegen das Schicksal kann man sich in heroischer Rebellion aufbäumen, man kann es durch Magie oder wissenschaftliche Methoden bekämpfen und manipulieren. Oder aber man kann sich ihm in stoischer und resignierter Art und Weise ergeben.
Vielfach wird von Interpreten der paraguayischen Kulturgeschichte behauptet, dass es ein erhebliches Maß an Schicksalsgläubigkeit und fatalistischem Denken unter der Bevölkerung allgemein, besonders aber unter der ärmeren Landbevölkerung Paraguays gibt. Auch das literarische Schaffen von Augusto Roa Bastos, Manuel Ortiz Guerrero und Alcibiades González Delvalle erweckt diesen Eindruck. Cecilio Baez und andere führen das fatalistische Denken auf Tyrannei und Machtmissbrauch in der politischen Geschichte zurück (La tiranía en el Paraguay). Auf alle Fälle kann man die Nationalgeschichte Paraguays als eine Kettenreaktion von historischen Enttäuschungen, Rebellionen und Resignation seit der Conquista bis zur Gegenwart der Militärdiktatur und der demokratischen Experimente interpretieren.
Einige Autoren weisen darauf hin, dass das spanische Christentum der Conquista mit seiner Zwangschristianisierung des Kontinents und seiner hierarchischen Kirchenordnung in dieser Hinsicht einen negativen Beitrag geleistet habe. Selbst der Christus der Conquista und des Kruzifixes (un pobre Cristo) wird als jemand empfunden, der seinem bösartigen Schicksal nicht entrinnen konnte. Hinzu kommt die Überlegung einiger Autoren, u. a. des spanischen Philosophen Unamuno, dass der südamerikanische Konquistakatholizismus sehr stark vom islamischen Denken und der islamischen Gottesschau eines unberechenbaren und unergründbaren Allah geprägt gewesen ist (ojalá – Allah akbar – Dios es grande).
Eine dritte Wurzel fatalistischen Denkens in Paraguay kann eventuell mit der guaranitischen Religiosität und Lebenshaltung zusammenhängen. Soviel man heute weiß, herrschte unter den Guaraníes schon in der vorkolumbianischen Zeit eine starke Weltuntergangserwartung, vielfach eine Religion des Pessimismus und der Wanderbewegungen auf der Suche nach dem Land ohne Übel. Auch die guaranitische enge Verbundenheit mit den Naturzyklen mag ein etwas stärker vorwissenschaftliches magisches und fatalistisches Weltbild gefördert haben.
Da aber Armut und historische Verarmungen eine einschneidende Erfahrung in der Bevölkerungsmehrheit darstellen, muss hier auch die Wechselwirkung von Armut und Resignation mit bedacht werden.
Theologisch ist zu sagen, dass fatalistisches Denken nicht dem biblischen Weltbild und dem Heilswillen Gottes entspricht. Gott gibt sich als Person mit liebenden und gerechten Vaterqualitäten zu erkennen. Er lädt uns zu einer Bundesbeziehung ein, die frei ist von Zufall und Machtmissbrauch. Durch Bekehrungserfahrung, Innewohnung des Geistes Gottes und Effektivität der göttlichen Gnade werden Veränderung zum Guten sowie Geborgenheit und Gelassenheit möglich. Gottes Einladung ergeht an die Menschheit, seine Schöpfung auf Grund der vom Schöpfer gegebenen Gesetzmäßigkeiten wissenschaftlich zu erforschen, zu bewahren und zum Wohl der Menschheit dienstbar zu machen. Weiter ist jeder Mensch eingeladen, zur Familie Gottes zu gehören und an seinem heilsgeschichtlichen Projekt des Friedens und der Versöhnung im Blick auf das kommende Reich Gottes, nämlich das neue eschatologische Zeitalter, mitzuarbeiten.
Alfred Neufeld
Alfred Neufeld: Fatalismus als missionstheologisches Problem: Die Kontextualisation des Evangeliums in einer Kultur fatalistischen Denkens Das Beispiel Paraguay. Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, 1994.