Das Hospital Mennonita Km 81, oder einfach Km 81, besteht seit 1951 und ist für alle >Mennoniten in Paraguay zu einem festen Begriff geworden und darüber hinaus für viele Lateinparaguayer. Für die Mennoniten ist es vor allem ein Missionskrankenhaus, in dem junge Leute aus den >Kolonien einen freiwilligen christlichen Dienst verrichten können. Im Zentrum der Behandlung stehen die von der Gesellschaft verstoßenen und gemiedenen Leprakranken, heute als Hansenkranke bezeichnet. Seit einigen Jahren wendet man sich verstärkt auch den an Tuberkulose Erkrankten zu. Darüber hinaus bietet das Krankenhaus den Menschen der näheren und weiteren Umgebung auch allgemeinmedizinische Behandlung an, die sie kostenlos bzw. stark verbilligt erhalten.
Auf Km 81 nahm der organisierte >Christliche Dienst der Mennoniten Paraguays seinen Anfang. Im Laufe von rund 50 Jahren (bis 2000) wurden auf Km 81 bzw. von hier aus rund 6.100 Leprakranke behandelt. Zusätzlich kommen von außen jährlich rund 18.000 Personen zur Sprechstunde in die allgemeine Klinik. Bis um die Mitte des Jahres 2000 haben hier 1.192 Freiwillige einen christlichen Dienst verrichtet.
Die Anregung, ein Lepramissionswerk in Paraguay ins Leben zu rufen, kam von den Vertretern des >MCC in Nordamerika. Das MCC war dankbar, dass die paraguayische Regierung 1930 die mittellosen mennonitischen Flüchtlinge aus Russland, die nicht nach Kanada einwandern konnten und nach Brasilien nicht gehen wollten, uneingeschränkt und ohne Rücksicht auf Alter und Gesundheitszustand aufgenommen hatte und ihnen volle Religionsfreiheit in einem sonst katholischen Lande zusicherte. Von dieser Großzügigkeit der paraguayischen Regierung waren die Brüder im MCC derart beeindruckt, dass sie die Verantwortung fühlten, ein Dankeschön-Projekt in die Wege zu leiten, mit dem der paraguayischen Regierung und dem paraguayischen Volk gedankt werden sollte.
Nach Überwindung mancher Hindernisse und Fehlschläge konzentrierte sich die Aufmerksamkeit schließlich auf die Leprakranken, und die Entscheidung fiel auf den Ort, an dem heute das Krankenhaus steht: Km 81, Ruta 2, wo man von einem Franzosen 1.148 Hektar Land kaufen konnte.
Man dachte zunächst an eine Leprakolonie mit einer Ackerbausiedlung, die von mennonitischen Bauern betrieben werden würde. Doch die Pläne zerschlugen sich. Einmal war es der Widerstand der Nachbarn, denen der Gedanke an Leprakranke in ihrer Nähe Furcht und Schrecken einjagte, und zum anderen war es die Entdeckung einer neuen Medizin, Dapsone (DDS), und die daraus folgende Möglichkeit, die Patienten ambulant zu behandeln.
In der Krankenbehandlung unterscheiden Mediziner drei Behandlungsmethoden: die stationäre, die ambulante und die mobile Behandlung. Bei der stationären Behandlung wird der Patient stationär behandelt, das heißt er wird auf einer Station des Krankenhauses für eine gewisse Zeit untergebracht und medizinisch versorgt. Bei der ambulanten Behandlung wird der Patient nicht interniert, sondern kehrt nach Sprechstunde und eventueller Behandlung in sein Heim und zu seiner Familie zurück, wo er entsprechend den Anweisungen des Arztes seine Medizin einnimmt. Die dritte Form ist die mobile Behandlung, bei der der Arzt bzw. ein Krankenpfleger ins Haus des Patienten geht. Diese mobile Behandlung ist eine besondere Form der Behandlung von Km 81. Auf Kontrollfahrten werden Hausbesuche bei schon bekannten Patienten gemacht und man sucht auf solchen Fahrten auch nach neu Infizierten. Damit steht Km 81 einzigartig da, denn nirgendwo im Lande und vielleicht auf der Welt ist die mobile Leprabehandlung so intensiv betrieben worden wie von Km 81 aus. Paraguay hat als erstes Land auf der Welt auf nationaler Ebene und in intensiver Form die chemotherapeutische ambulante und mobile Behandlung durchgeführt. Kurz vor der Errichtung von Km 81 fing in Asunción und seiner nächsten Umgebung in kleinem Umfang die ambulante, nicht aber die mobile Leprabehandlung an.
Die Arbeit von Km 81 in Paraguay stand also Modell für die Behandlung von Leprakranken in anderen Ländern. Die auf Km 81 begonnene Arbeit wird bis heute fortgesetzt. Doch die Zeiten ändern sich. Die Wegverhältnisse sind verbessert worden und Wagen mit Allradantrieb bringen die Kontrollarbeiter heute schneller und bequemer fast zu jedem Patienten. Neue Medikamente haben den Heilungsprozess der Lepra wesentlich beschleunigt und erforderten neuen Einsatz und neue Behandlungsmethoden. Zu diesen gehört auch das Projekt Kombriiso (KOMBinationstherapie RIfadin ISOprodian).
Die große Euphorie, die sich mit dem Einsatz von Dapsone (DDS) im Kampf gegen die Lepra breit gemacht hatte, in der Hoffnung, die Lepra in einigen Jahrzehnten aus der Welt zu schaffen, erwies sich als unangebracht, als man feststellte, dass der Leprabazillus gegen Dapsone immun geworden war und Kranke, die schon einmal als gesund erklärt worden waren, plötzlich wieder von der Krankheit befallen wurden (>Im Dienste der Liebe, 1979, Nr. 1, S. 4-5).
Doch die Lage war nicht hoffnungslos. Im Forschungsinstitut Borstel in Deutschland hatte Prof. Dr. Dr. Enno Freerksen das neue wirksame Medikament Rifadin-Isoprodian gegen die Lepra entwickelt, das aus einer Kombination von verschiedenen Medikamenten besteht. In den Jahren 1974 – 1976 wurden in Paraguay mit dieser komplizierten und sehr teuren Kombinationsmedizin 28 Patienten mit Lepra im fortgeschrittenen Stadium, die dazu noch gegen DDS immun geworden waren, erstmals behandelt. Die Resultate waren verblüffend und erfreulich zugleich. (Im Dienste der Liebe, Januar – April 1976, S. 2 – 3). Im Jahre 1979 wurde das gleiche Medikament an 200 Patienten auf der Insel Malta im Mittelmeer ausprobiert. Der Erfolg war in jeder Hinsicht befriedigend. Alle Patienten wurden geheilt. Daraufhin wurde diese neue Behandlungsmethode in Paraguay auf Landesebene als erstem Land in der Welt unter dem Namen Kombriiso (spanisch: Terapia por Multidroga, TMD) eingeführt und erfolgreich durchgeführt. Die Medizin kam vom Forschungsinstitut Borstel und wurde vom Deutschen Aussätzigenhilfswerk dem paraguayischen Gesundheitsministerium kostenlos zur Verfügung gestellt. Auch Km 81 mit seiner Zone (Departamentos Caaguazú und San Pedro) mit rund 1.000 Leprakranken wurde in dieses Programm mit einbezogen, und Dr. Alwin Stahl setzte sich voll für dieses Behandlungsprogramm ein, wenn es auch mit einem Riesenaufwand an Geld und Arbeitszeit für zwei Jahre verbunden war (Im Dienste der Liebe, Oktober 1986, Sonderausgabe). Die Betreuung der Leprakranken besteht jedoch nicht nur in der Verabreichung der Medizin, obzwar das ein sehr wesentlicher Teil der Behandlung ist. Es kommen andere Bereiche von großer Bedeutung dazu, um den Patienten allseitig zu helfen: Physiotherapie, plastische Chirurgie, Schusterei, Beschäftigungstherapie und die geistliche Betreuung. Auf allen diesen Gebieten hat das Hospital Mennonita Km 81 Pionierarbeit geleistet und für die Arbeit im ganzen Lande Richtung gewiesen.
Die geistliche Betreuung ist beides, Herzstück und Krone der Dienste an den Kranken. Eine Arbeit, die von Herzen kommt, wird auch zu Herzen gehen. Seelische und geistliche Heilung gehen Hand in Hand mit der körperlichen Behandlung und Heilung. Bei den Hausbesuchen wird das ärztliche Team in der Regel von einem Seelsorger (>Prediger, Missionar) begleitet. Nach dem ärztlichen Gespräch wird die biblische Botschaft verkündigt. Auf Km 81 ist ständig ein Pastor tätig. Die geistliche Betreuung war von Beginn der Arbeit untrennbar mit der Behandlung verbunden.
Die mennonitische Lepraarbeit in Paraguay wurde vom MCC geplant und in die Wege geleitet. An den Planungsarbeiten war die ALM (American Leprosy-Mission) von Anfang an mitbeteiligt. Sie war bereit, die mennonitische Lepraarbeit in Paraguay uneingeschränkt zu unterstützen. So kam es, dass sie zu 60 % von ALM und zu 40 % vom MCC finanziert wurde (>Der Mennonit, Oktober 1951, S. 155. Herausgegeben vom MCC in Deutschland für die russlanddeutschen Mennoniten in aller Welt). Doch schon von Anfang an wurden die Mennoniten Paraguays voll in dieses Programm mit einbezogen und haben schließlich die volle Verantwortung für die Verwaltung des Hospitals und die Lepraarbeit in ganz Paraguay unter der Aufsicht des nationalen Gesundheitsministeriums übernommen (>Schmidt, John).
Gerhard Ratzlaff
Im Dienste der Liebe. Ein Informationsblatt, das ab 1952 dreimal im Jahr von der Leprastation Km 81, Paraguay, herausgegeben wird; Paraguay Notes [Mimeografierte, periodische MCC-Nachrichten aus Paraguay], Asunción, Paraguay, Mai 1945 – Mai 1948; Gerhard Ratzlaff: Hospital Mennonita Km 81: Liebe, die tätig wird. Eine Festschrift zum 50-jährigen Bestehen. Hg. Gemeindekomitee. Asunción, 2001; Peter Wiens: Centro de Salud Mennonita 1951 1976. Hg. Gemeindekomitee. Asunción, 1976.