Am Rande vom Städtchen Puerto Casado sammelten sich 1927/1928 viele kanadisch-mennonitische Einwanderer auf engem Raum in einem Siedlerlager. Der Lagerplatz grenzte an das Gelände der Tanninfabrik und zog sich die Eisenbahnlinie entlang nach Westen. Das tropische Klima, neue Essgewohnheiten und unsauberes Trinkwasser machten den Einwanderern zu schaffen und führten zu einer Durchfall- und >Typhusepidemie, an der in den 18 Monaten der Wartezeit in den Siedlerlagern 171 Einwanderer, meistens Kinder, starben. Allein in Puerto Casado waren es 121. Erst Ende 1927 und 1928 konnten die schwer geprüften Siedler aus Kanada auf das vermessene Land und somit auf ihre eigene Wirtschaft ziehen und endlich anfangen, die neue Heimat aufzubauen.
Deshalb versuchten die Leiter die Siedler zu überreden, dass doch möglichst viele von ihnen schon frühzeitig, bevor das Siedlungsland vermessen war, ins Landesinnere ziehen sollten, um Stützpunkte für den Einzug in die Wildnis anzulegen, und so das Lager in Puerto Casado zu entlasten. Ab Februar 1927 stießen immer wieder Gruppen von Familien ins Landesinnere vor und legten so genannte Siedlerlager an Lagunen mit genügend Wasser an. Dort waren sie nicht so nah aneinander gedrängt und so konnte die Typhusepidemie nach und nach besiegt werden.
Zum Lagerleben gehörten auch gewohnte Dinge wie die sonntäglichen Andachten, Tauffeste, Verlobungen und Hochzeiten. Und man bereitete sich auf den Einzug in das Chacoinnere vor. Vieh wurde gekauft, Ochsen gebändigt, damit sie als Zugtiere eingesetzt werden konnten, denn sie waren pflegeleichter als Pferde und konnten größere Belastungen ertragen. Bei der Bändigung, dem Einfahren der oftmals störrischen und widerspenstigen Ochsenpaare gab es manche Szenen, die Menschen im Lager in Gefahr brachten, wie die nachfolgende Begebenheit zeigt: Einmal kam so ein widerspenstiges Ochsenpaar bei all dem Hin und Her während des Starts zu nahe an einen Kochherd, der vor einem Zelt errichtet worden war. Auf diesem Herd brodelte gerade ein Kessel mit siedendem Wasser. Der Kessel wurde vom Ochsen bei seinem Hin- und Hertoben berührt, und etwas von dem heißen Wasser spritzte dabei an seine Seite. Urplötzlich schoss der Ochse im Bogen nach vorne und riss auch den andren ebenso plötzlich mit. Die beiden Seitenmänner wurden zu Boden gerissen und mussten ihre Leinen loslassen. Als die am Boden liegenden Männer zur Besinnung kamen, raste das Gespann schon in der Ferne davon. Sie stürmten nun hinterher. Die beiden Piloten auf dem Wagen hatten auch die Bremskontrolle verloren und mussten nur zusehen, wie sie auf dem tobenden Fahrzeug blieben. Das wilde Gespann stürzte sich von der geraden Straße mitten in das Gewirr des Zeltdorfes und raste nun im Zickzack durch die ungeordneten Zeltreihen. Frauen liefen schreiend zu ihren in der Nähe spielenden Kindern, als das Schrecken erregende, tobende Gespann herannahte, ergriffen ihre Kinder und suchten aus dem Wege zu kommen. Kinder selbst liefen und schrieen aus Angst, stoben in die Zelte und verkrochen sich unter den Feldbetten. Als die rasende Fahrt vorbei war und ein Junge immer noch nicht zum Vorschein kam, fand ihn die Mutter zitternd unter einem Feldbett im Zelt, wo er mit Furcht und Bangen der Dinge harrte, die er über sich kommen sah.
Es dauerte fast bis Mitte 1928, bis die letzten kanadischen Mennoniten aus Puerto Casado ins Chacoinnere gezogen waren und auf dem eigenen Grundstück ihre Existenz aufbauen konnten.
Uwe S. Friesen
Martin W. Friesen: Kanadische Mennoniten bezwingen eine Wildnis, 50 Jahre Kolonie Menno – erste mennonitische Ansiedlung in Südamerika. Neu überarbeitete Ausgabe. Loma Plata: Druckerei Friesen, 2004; Martin W. Friesen: Neue Heimat in der Chacowildnis. 2. Auflage. Asunción: Imprenta Modelo, 1997; Geschichtskomitee der Kolonie Menno (Hg.): Jacob A. Braun – Im Gedenken an jene Zeit, Mitteilungen zur Entstehungsgeschichte der Kolonie Menno. Asunción: Grafitec, 2001; Geschichtskomitee der Kolonie Menno (Hg.): Unter der heißen Sonne des Südens, 75 Jahre Kolonie Menno – Erste mennonitische Siedlung in Südamerika, 1927 – 2002, 2002; Peter P. Klassen: Die Mennoniten in Paraguay. Reich Gottes und Reich dieser Welt. 2. erweiterte Auflage. Bolanden-Weierhof: Mennonitischer Geschichtsverein e.V., 2001; Bernhard Toews: Tagebuch meines Lebens; Bernhard Toews, 1863 – 1927, Delegat der Chacobesichtigungsexpedition 1921. Hg. Geschichtskomitee der Kolonie Menno. Gestaltung: Druckerei Friesen, Druck: Grafitec Asunción, 2005; Uwe Friesen: Menno Aktuell 6 (2003) 78, S. 16-18; Uwe Friesen: Menno Aktuell 6 (2003) 79, S. 12-13; Uwe Friesen: Menno Aktuell 6 (2003) 80, S. 13.