Ordnungsmänner

Das Selbstverwaltungssystem der Mennoniten, das sich schon in Preußen bildete, bekam in  Russland sogar einen legalen Rahmen. Unter Johann Cornies wurde es noch verfeinert und verstärkt und beinhaltete auch das so genannte Law-enforcement, also die Vollstreckung der Gesetze und richterlichen Beschlüsse. Dieselbe Struktur wurde nach der Einwanderung im >Chaco auch wieder aufgebaut, obzwar sie im >Gesetz 514, dem Privilegium für die Mennoniten, nicht vorgesehen war. So wurden in >Fernheim, nachdem die Verwaltung sich organisiert hatte, auch ein Kolonie-Ordnungsmann und für jedes Dorf außer dem Schulzen auch ein Ordnungsmann gewählt. Diese hatten bei Übertretungen von gewissen ethischen und moralischen Richtlinien und bei nicht Einhalten der allgemeinen Beschlüsse einzugreifen. Sie waren die polizeiliche und mit dem >Oberschulzen zusammen auch die richterliche Gewalt der >Kolonie.
In den ersten Jahren war der Ordnungsmann oft als Reiter zu Pferd anzutreffen, und er musste manchmal auch Interessen der Kooperative durchsetzen. So musste er eben auch manche Bürger zwingen, ihre Wildschwein-Häute bei der Kooperative und nicht beim Privathändler zu verkaufen.
Der Ordnungsmann wurde auch eingesetzt, wenn einmal eine feste Hand gebraucht oder auch etwas Gewalt angewandt werden musste, um vielleicht einen säumigen Zahler und unwilligen Bürger “nach oben” ins Koloniehaus zu bringen. Als die Bedrohung durch die >Ayoreos in den vierziger Jahren größer wurde, verteilte das Militär “zur Abschreckung” alte Kriegsgewehre in der Kolonie. Weil >Filadelfia etwas größer als ein Dorf war, bekamen die Bürger drei Gewehre: Eines für den Ordnungsmann, eines für den >Schulzen und eines für den Gehilfen. Die Vorsehung Gottes hat es dann glücklicherweise so geführt, dass diese Gewehre nicht zum Einsatz kamen.
Im Gegensatz zur Besetzung von anderen Ämtern in der Kolonie, wo gefordert wurde, dass der Anwärter ein Gemeindeglied sein musste, war dies Anforderung bei der Suche nach einem Ordnungsmann kein Thema. Ganz im Gegenteil, man stellte gerne solche Personen an, die bei eventueller Gewaltanwendung nicht durch ihre Gemeindezugehörigkeit gebunden waren.
Die Ordnungsmänner waren aber in den späteren Jahren in der Regel unbewaffnet und ohne Uniform, obgleich irgendwo im Büro in einer Schublade doch eine Pistole lag. Aber das war nur für den Notfall. Während der Stroessner-Regierung (>Stroessner, Alfred) gab es dann eine nähere Zusammenarbeit der Ordnungsmänner mit dem Militärkorps in >Mariscal Estigarribia und Teniente Montanía. Dadurch entstanden dann auch manchmal peinliche Situationen, wenn nach Viehdieben oder Einbrechern gemeinsam gefahndet wurde und das Militär mit der Waffe doch relativ schnell und ungehemmt vorging. Nach dem Fall der Stroessner-Regierung und dem Einzug der zivilen Polizei in Filadelfia gab der traditionelle Ordnungsmann mehr und mehr Terrain ab und konzentrierte sich mehr auf die Kontrolle des immer stärker wachsenden Verkehrs.
Heute ist das, was wir einen Ordnungsmann nennen, ein legal anerkannter Verkehrspolizist mit dem Nebenauftrag von seinem mennonitischen Gehaltszahler, bei kriminellen oder polizeilichen Angelegenheiten dem Bürger beratend zur Seite zu stehen oder eventuell eine Vermittlerrolle zu übernehmen.
Heinrich P. Ratzlaff, Filadelfia