Die >Kolonie Fernheim wurde am 1. Juli 1930 in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kolonie >Menno als zweite mennonitische Siedlung im >Chaco offiziell gegründet. Zu dem Zeitpunkt waren die ersten drei Gruppen der in Deutschland untergebrachten Russlandflüchtlinge im >Chaco angekommen und hatten vom Zeltlager bei >Trébol aus die ersten acht Dörfer der neuen Siedlung gegründet. Das Land für dieses Siedlungsunternehmen war durch das >MCC von der >Corporación Paraguaya gekauft worden, die auch verpflichtet war, eine notdürftige Infrastruktur bereitzustellen. Abgesehen von einem Schuppen und einem Brunnen auf >Trébol war die Organisation ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen. Somit waren die Siedler von Anfang an ganz auf sich selbst gestellt. Geeignete Kämpe (>Kamp) für die Anlage der Dörfer wurden gesucht, vermessen, die ersten Brunnen wurden gegraben. Bei der Orientierung in der Chacowildnis waren die hier ansässigen >Enlhet-Indianer des Öfteren eine Hilfe.
Im Juli 1930 gesellte sich eine aus Polen kommende Gruppe dem Siedlungsunternehmen zu. Aus Deutschland kamen bis 1931 noch einige kleinere Gruppen und 1932 schloss die so genannte >Harbinergruppe die Zuwanderung vorläufig ab. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kolonie Fernheim 17 Dörfer mit einer Bevölkerung von 2.015 Personen.
Da die Siedler nicht nur unbemittelt waren, sondern durch die lange Reise, >Ausrüstung, Landkauf und Verpflegung eine beträchtliche Schuldsumme beim MCC angesammelt hatten, waren die Wirtschaftsbedingungen schwierig. Man sah sich außerdem einer unbekannten, oft als feindlich empfundenen Umwelt gegenüber ohne ausreichende Orientierung darüber, was man in Feld und Garten anbauen konnte, um zu überleben.
Vom ersten Siedlungsjahr an waren daher die Blicke nach Ostparaguay gerichtet, wo man sich bessere Siedlungsbedingungen versprach. Im Dezember 1930 wurden Gerhard Isaak und Kornelius Langemann beauftragt, die Möglichkeiten in Ostparaguay zu erkunden (>Delegation Ostparaguay). Sie kamen auch mit einem grundsätzlich optimistischen Bericht zurück, aber eine Übersiedlung kam nicht zustande. Dafür gab es mehrere Gründe, die möglicherweise noch nicht ausreichend erforscht sind. Einmal war das MCC nicht bereit, eine erneute Umsiedlung zu finanzieren; die Siedler selbst waren mittellos. Zweitens war die Regierung Paraguays aus geopolitischen Gründen interessiert an tapferen Siedlern im Chaco. Sie hätte zwar eine Verlegung der Kolonie nach Ostparaguay möglicherweise nicht verhindert, war jedoch eher daran interessiert, dass die Siedler im Chaco blieben. Drittens waren führende Personen aus dem MCC wie auch in der Kolonie selbst davon überzeugt, dass man im Chaco besser die mennonitische Eigenart beibehalten könne. Viertens war ein Teil der Siedler auch davon überzeugt, dass man durch göttliche Vorsehung gerade in den Chaco geführt worden sei mit der Mission, den Indianern das Evangelium und die Güter der westlichen Kultur zu bringen. Dies alles bewirkte, dass die Kolonie nicht einfach nach Ostparaguay verlegt wurde, obwohl einzelne Familien schon ab 1931 dahin abwanderten. Im Jahr 1937 verließen ca. 30% der Fernheimer ihre Wirtschaften, um im Departamento San Pedro, Ostparaguay, die Kolonie >Friesland zu gründen. Später wanderten viele Familien aus, nach Argentinien, Brasilien und vor allem nach Kanada. Erst als sich die Wirtschaft in den 1970er Jahren wirklich stabilisierte, ließ diese Abwanderungstendenz allmählich nach.
Der Verwaltung wie den Gemeinden in Fernheim fiel die oft schwierige Aufgabe zu, den Menschen recht unterschiedlicher Herkunft und Prägung aus Russland eine gemeinsame Identität, gemeinsame Ziele zu geben. Schon beim Ausbruch des >Chacokrieges im Jahr 1932 wurde notgedrungen die Kooperative gegründet, die erste im Lande, weil man sonst keine Chancen sah, als Gemeinschaft wirtschaftlich zu überleben. Das Genossenschaftswesen ist somit die Grundlage für die Entwicklung Fernheims geworden, und es ist auch in einer Zeit größerer Möglichkeiten so offensichtlich von Vorteil, dass es zu einem Bestandteil des Selbstverständnisses der Fernheimer geworden ist.
Im Jahr 1955 feierte man das erste größere Jubiläum unter dem Motto: Bis hierher hat uns der Herr geholfen. Es herrschte Dankbarkeit für die göttliche Hilfe während des Aufbaus einer neuen Heimat.
Im Jahr 1980 entstand das bekannte Denkmal mit den drei Säulen unter dem Motto: Glaube, Arbeit, Eintracht. Nach 50 Jahren war das Siedlungsunternehmen gefestigt, die Wirtschaft war etabliert, man konnte rückschauend feststellen, dass diese drei Werte zum tragenden Element der Kolonie geworden waren.
Im Jahr 2005 feierte man 75 Jahre Fernheim unter dem Motto: Gemeinsamkeit und Entwicklung, wobei der Blick nicht mehr so ausschließlich auf die eigene Gemeinschaft gerichtet war, sondern gerade auf die multikulturelle Situation, die sich inzwischen ergeben hat, in der die deutschsprachigen Nachkommen der Gründergeneration zahlenmäßig eine Minderheit bilden. Fernheim hat als Asociación Civil und als Kooperative 2008 eine Bevölkerung von 4.172 Personen und einen Landbesitz von ca. 600.000 ha, der den Mitgliedern zur wirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung steht.
Gundolf Niebuhr
Peter P. Klassen: Die Mennoniten in Paraguay. Reich Gottes und Reich dieser Welt. Bolanden-Weierhof: Mennonitischer Geschichtsverein e.V., 1988; 50 Jahre Kolonie Fernheim: Ein Beitrag in der Entwicklung Paraguays. Hg. Kolonie Fernheim. Asunción: Imprenta Modelo, 1980.