Gerhard B. Giesbrecht (1906 – 1977) wurde am 27. Januar 1906 in Steinfeld, Molotschna, geboren. Als er vier Jahre alt war, zogen seine Eltern nach Sibirien und siedelten im Dorfe Markowka in der Gegend von Slawgorod an. Dort verlebte er seine Kindheit und Jugendzeit. Im Alter von 16 Jahren konnte er das Heil in Jesus Christus annehmen und Mitglied der MBG werden. Schon früh erging an ihn der Ruf in den Dienst der Wortverkündigung. Die Gemeinde bestätigte diesen Ruf und empfahl ihn zur Vorbereitung in der Bibelschule Dawlekanowa in der Orenburger Ansiedlung. Doch die Schule wurde schon nach einem Jahr von der Regierung geschlossen. Dieses eine Jahr Bibelschule ist ihm in seinem späteren Dienst eine große Hilfe gewesen. Am 7. April 1928 trat er mit Katharina Unrau in den Ehestand. Im Oktober 1929 begab sich die junge Familie mit einem kleinen Kind auf die Flucht. Am 28. Mai 1930 kam sie mit dem zweiten Transport in den paraguayischen >Chaco und siedelte im Dorf Gnadenheim an.
Von der Begabung her war Gerhard B. Giesbrecht Lehrer. Er unterrichtete gern und hat der Dorfgemeinschaft von Gnadenheim in den ersten sechs Ansiedlungsjahren als Lehrer und Prediger gedient. Diese Probejahre waren ihm später eine bedeutsame Hilfe.
Im Jahre 1937 erging an ihn der Ruf in die Missionsarbeit unter den Lenguas (>Enlhet). Er hatte diesen Ruf schon einmal erhalten, als er bei der Einwanderung in >Puerto Casado zum ersten Mal Indianer sah.
Die Missionsarbeit unter den Lenguas war in jeder Hinsicht Pionierarbeit. Seine natürliche Sprachbegabung und sein Organisationstalent halfen Giesbrecht beim Beginn dieser Arbeit. Das Erlernen der Lenguasprache und ihrer Schreibweise war eine große Herausforderung. Weit schwieriger schien es jedoch zu sein, das Seelenleben und die animistische Denkweise dieser Menschen zu ergründen. Konnte ein Europäer überhaupt begreifen, warum ein Lengua so handelte, wie er es tat? Erst nach zehn Jahren konnten die ersten sieben Gläubigen getauft werden. Mit der Gründung der ersten Gemeinde war ein wichtiger Meilenstein in der Arbeit erreicht. Er unterrichtete die Kinder in der Schule, half durch seine Lehrtätigkeit den Lengua-Predigern bei der Vorbereitung der Predigten und der Gemeinde in ihrem geistlichen Wachstum. Langsam entwickelte sich das Gemeindeleben.
Große Vorarbeit, Planung und Organisation verlangte die Ansiedlung der Indianer. Als Missionar Giesbrecht zu einer ersten Beratung über die Ansiedlung der Indianer nach Nordamerika eingeladen wurde, nahm er neben einer genauen Bestandsaufnahme über die in der Umgebung lebenden Indianer auch einen Plan und den Kostenvoranschlag für die Gründung eines Indianerdorfes mit. Trotz der sorgfältigen Berechnungen nahm die Entwicklung dieses Unternehmens mit den Jahren ungeahnte Ausmaße an und der Entwicklungsprozess war nicht mehr aufzuhalten. Es entstanden viele neue Dörfer, neue Siedlungen, neue Schulen und neue Gemeinden.
Im Jahre 1964 wurde der Wirkungskreis von Missionar Giesbrecht auf Wunsch der MBG-Konferenz in die Gemeinde nach >Filadelfia verlegt. In den Jahren von 1964 bis 1973 diente er ihr als Leiter der Gemeinde. Wieder waren es die Verkündigungsarbeit und der Lehrdienst, die ihn am meisten forderten.
In den Jahren von 1964 bis 1976 hatte er als Leiter der KfK auch im Rahmen der Fernheimer Gemeinschaft einen großen Wirkungskreis. Wie seine Vorgänger so setzte auch er sich für die Einigkeit und brüderliche Zusammenarbeit der Gemeinden ein und für die aktive Mitarbeit in der Mission.
Eine schwere Herausforderung war für ihn der Auftrag der Missionsbehörde der MBG-Konferenz, die Daten der Missionsarbeit im Chaco zu sammeln. Da er viele Jahre auf dem Missionsfeld gewesen war, hatte er eine gute Übersicht über den geschichtlichen Werdegang und konnte so das Material sammeln und ordnen. Doch zum Schreiben der Missionsgeschichte kam er nicht mehr. Das Material konnte jedoch später als Ausgangsbasis und Grundlage für das Buch Dass die Heiden Miterben seien von Lehrer Hans Wiens verwendet werden.
Missionar Giesbrecht hatte sich den Tod hinter der Kanzel immer gewünscht. Dass das am 25. November 1977, dem Jahrestag der Errettung aus Russland, vor der versammelten Ortsgemeinde von Filadelfia sein würde, konnte niemand wissen. Auf dem Friedhof von Filadelfia verabschiedete ihn sein Freund und Mitarbeiter, Ältester Jakob >Isaak, mit den Worten: Heute ist für Fernheim ein Großer gefallen (nach 2. Sam. 3,38).
Klaus Löwen
Notizen aus dem Tagebuch von G. Giesbrecht, 1928-1936; Hans Wiens: Daß die Heiden Miterben seien: Die Geschichte der Indianermission im paraguayischen Chaco. Hg. Konferenz der Mennoniten Brüdergemeinden Paraguays. Asunción, 1989; Peter Wiens: Die KfK Fernheim – ein geschichtlicher Überblick 1931-1991. Hg. KfK Fernheim. Filadelfia, 1992; Gerd G. Giesbrecht: Ich sah der Lengua Hütten; Erfahrungen und Beobachtungen in der Missionsarbeit, Asunción, 2000; David Hein: Mennoblatt 48 (1977) 24, S. 2.