Theateraufführungen

Theateraufführungen sind in den mennonitischen >Kolonien in Paraguay sehr beliebt.
Man versteht darunter Aufführungen sowohl von Theaterstücken klassischer Art als auch Laienspiele und andere dramatische Vorführungen. Alle werden als “Theater bezeichnet”. Dabei wurde der Begriff selbst lange Zeit mit Vorsicht benutzt; ihm haftete ein Hauch von “Weltlichkeit” an. So sprach man lieber von Bühnenstücken, die eingeübt wurden.
Schon früh, bald nach den ersten Ansiedlungsjahren, führten die Schulen, vor allem die >Zentralschulen, einfache Spiele bis hin zu klassischen Dramen wie “Kabale und Liebe” oder “Der Revisor” für ein begeistertes Publikum auf. Später konnten es dann “Unsere kleine Stadt” oder “Das heilige Experiment” sein. Man versuchte sich auch mit mehr oder weniger anspruchsvollen Musicals, als eine einfache Orchesterbesetzung möglich war.
Lange Zeit gab es keine andern kulturellen Veranstaltungen als diejenigen, die man selber erarbeitete. Mit entsprechend großer Beteiligung von Seiten der Bevölkerung konnte man rechnen. Die Deutschlehrer bekamen meist den Auftrag, ein Werk zu suchen und einzuüben. Sehr viele Anregungen unternahmen die Lehrer, die aus der BRD an die Zentralschulen vermittelt wurden. Die Auswahl eines Werkes war keine leichte Aufgabe: Lustspiele waren zwar beliebt, ihr >Humor galt aber oft als nicht angemessen, wenn sie aus der klassischen Literatur stammten.
Die öffentliche Meinung bzw. die Resonanz auf ein Theaterstück waren entscheidend für die Auswahl. Es konnte jedermann seine Meinung zu einem Werk äußern. Das geschah oft im >Mennoblatt, das auf diese Weise zur Meinungsbildung in den Kolonien beitrug.
Allerdings zeigte sich dabei auch eine starke Abhängigkeit, wenn von Seiten der Gemeinden Einspruch erhoben wurde.
Peter P. >Klassen schreibt dazu: Die verantwortlichen Lehrer hatten sich auch später immer wieder mit der Kritik, die meist religiös motiviert war, auseinander zu setzen, so 1947 bei “Wilhelm Tell”, 1957 bei Gogols “Der Revisor”, 1976 bei Frischs “Andorra”, 1979 bei Zuckmayers “Der Hauptmann von Köpenick”, 1980 bei Kleists “Der zerbrochene Krug”, 1981 bei Frischs “Die Brandstifter”.
Je nachdem, wie “abhängig” jemand von der öffentlichen Kritik ist, hat er doch die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Immerhin war es doch auch möglich, Friedrich Dürrenmatts “Die Physiker” auf die Bühne zu bringen.
Die Vorführungen finden an mehreren Abenden nacheinander in der Schulaula statt. Eintrittskarten kauft man besser schon vorher. Das Geld war lange Zeit für Ausflüge der Abschlussklassen vorgesehen, bis die finanzielle Lage der Bürger sich verbesserte und jedes Kind einen größeren Betrag selbst bezahlen konnte. So entstand dann ein wenig Freiraum für eine bessere Bühnenausstattung, einen qualitativ besseren Vorhang u. a. m. Auch wird den Beteiligten, etwa dem hauptverantwortlichen Lehrer, für seine Arbeit eine Entschädigung gezahlt. Bis dahin war alles ehrenamtlich geleistet worden.
Bevor es größere Gebäude mit einer geeigneten Aula gab, mussten die Bühne sowie alle Requisiten in Handarbeit hergestellt werden. Wurde anfänglich für die Verkleidung oder die Bühnenausstattung so viel wie möglich von verschiedenen Personen geliehen, wird es gegenwärtig gekauft oder in Werkstätten hergestellt. Über viele Jahre war in der >Zentralschule von Fernheim Marga >Bräul in der Hauptsache dafür verantwortlich.
Schon bald nach der Ausreise bzw. Flucht aus Russland haben mennonitische Autoren wie Heinrich >Ratzlaff und Abram >Löwen ihre Erlebnisse auch in Form eines Bühnenstückes aufgearbeitet. Anlässlich einer Jubiläumsfeier der Kolonie Fernheim wurden sie aufgeführt und fanden nicht nur interessierte Zuschauer; sie dienten auch dazu, jungen Menschen Geschichte lebendig zu machen und ihre Herkunft besser zu verstehen.
Die Volksschulen nutzen für ihre Darbietungen meist den Schulabschluss, während die Zentralschule für die Aufführung etwas anspruchsvollerer Werke eine Woche im Laufe des Schuljahres vorsieht. Sehr beliebt waren besonders in den ersten Jahrzehnten der Kolonie Fernheim Lustspiele auf einem Polterabend, aber auch an Silvester oder Muttertag gab es in vielen Dörfern abends ein “Stück” zu sehen, z. B. von Arnold Dyck “Dee Fria” oder “Opnohm opi Forstei” Für diese Gelegenheiten machte sich in der Regel die Jugend des Dorfes verantwortlich. Die Zentralisierung der Schulen und die Möglichkeit, motorisiert schneller einen andern Ort zu erreichen, könnten Gründe dafür sein, dass sie seltener werden. Ganz bestimmt spielt auch das Angebot in den Medien dafür eine große Rolle. Der Muttertag und der Heiligabend dagegen sind Sache der Lehrer bzw. Sonntagsschullehrer geblieben.
Lily August
Mennoblatt-Archiv/Schularchiv des Colegio Filadelfia; Peter P. Klassen: Die Mennoniten in Paraguay. Reich Gottes und Reich dieser Welt. Bolanden-Weierhof: Mennonitischer Geschichtsverein e.V., 1988.