Nach der Revolution in Russland im Jahre 1917 wuchs die Not unter den Mennoniten in diesem Land und man suchte nach einer Auswanderungsmöglichkeit. Zunächst plante man eine Rücksiedlung nach Deutschland, doch dieser Plan musste bald aufgegeben werden, da Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren hatte und nicht in der Lage war, eine größere Auswanderergruppe aufzunehmen. 1920 wurde eine Studienkommission (A. A. Friesen, C. H. Warkentin, B. H. >Unruh und später auch J. Esau) nach Europa und Nordamerika geschickt, um Auswanderungsmöglichkeiten zu erkunden. Während A. A. Friesen, ein Agronom, Siedlungsland in den USA, Kanada und Mexiko erkundete, hielt B. H. Unruh Informationsveranstaltungen in vielen Gemeinden. Das führte zur Gründung von mehreren Hilfswerken und schließlich zur Gründung des >Mennonite Central Committee. Bereits im selben Jahr setzte die Hilfsaktion des MCC über Konstantinopel in Russland ein.
Noch im selben Jahr kehrte Benjamin Unruh nach Europa zurück und bewirkte, dass auch in Holland und Deutschland mennonitische Hilfswerke bei der Unterstützung der Mennoniten in Russland aktiv wurden.
Als 1929 die radikale Sozialisierung des Eigentums in Russland einsetzte, strömten viele Mennoniten und zahlreiche weitere Deutsche nach Moskau (>Flucht über Moskau), um dort die Auswanderung zu erlangen. Das war gefährlich und musste geheim geschehen, denn von der Regierung aus versuchte man diese Auswanderungswilligen abzufangen und nach Sibirien zu schicken. Als Unruh von dieser Notlage erfuhr, setzte er alle Hebel in Bewegung, um möglichst viele Mennoniten zu retten und sie ins Ausland zu bringen.
Da Kanada zögerte, eine große Anzahl von Mennoniten aus Russland aufzunehmen und die kanadische Eisenbahngesellschaft nicht bereit war, die Transportkosten bereits ab Moskau zu übernehmen, wuchs die Not vor den Toren Moskaus. Die sowjetische Regierung drängte, die >Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen und zwar sofort, andernfalls würden sie zurückgeschickt werden. Benjamin Unruh tat, was in seinen Kräften stand. In der Zeitschrift Der >Bote richtete er einen Aufruf Mitten im Sturm an alle Mennonitengemeinden in Europa und Nord-amerika, der seine Wirkung nicht verfehlte. In Deutschland war er ständig mit dem Auswärtigen Amt und mit Nichtregierungsorganisationen in Verbindung und wandte sich schließlich auch an Fridtjof Nansen, den Kommissar für Flüchtlingswesen beim Völkerbund.
Als die ersten Flüchtlinge aus Russland in Kiel eintrafen, wurden sie von der Kieler Bevölkerung wohlwollend aufgenommen. Auch die deutsche Presse setzte sich für die bedrängten Deutschen in Moskau ein. In Deutschland vereinigten sich die verschiedenen Hilfsverbände (Deutsches Rotes Kreuz, Zentralausschuss für Innere Mission, Deutscher Caritasverband, Fünfter Wohlfahrtsverband, Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt, Zentralwohlfahrtsausschuss der deutschen Arbeiterschaft und Zentralwohlfahrtsverband der deutschen Juden) unter dem Stichwort Brüder in Not. Das Deutsche Rote Kreuz übernahm die Sammlung und Verwaltung der eingehenden Gelder und ihr Ehrenpräsident, Reichspräsident Paul von Hindenburg, spendete aus einem besonderen Fonds selber 200.000 Reichsmark für diesen Zweck.
Auf Grund dieser gebündelten Hilfsaktion war es möglich, dass von Ende November 1929 bis Ende Januar 1930 5.671 Personen (3.885 Mennoniten, 1.260 Lutheraner, 468 Katholiken, 58 andere) aus Russland nach Deutschland kommen konnten.
Jakob Warkentin
Benjamin Heinrich Unruh: Fügung und Führung im Mennonitischen Welthilfswerk 1920-1933. Humanität in christlicher Sicht. Schriftenreihe des Mennonitischen Geschichtsvereins Nr. 8. Karlsruhe 1966; Jakob Warkentin: Benjamin Heinrich Unruh: Lehrer, Forscher, Staatsmann. In: Ders: Erziehung und Bildung im Raum der Kolonie. Asunción 2007, S. 126 ff; Vor den Toren Moskaus. Herausgegeben vom Komitee der Flüchtlinge, Columbia Press, Yarrow, B.C., 1960.