Alfredo Stroessner (1912 – 2006) war der Staatspräsident Paraguays von 1954 bis 1989 und dabei ein Freund der Mennoniten. Er wurde am 3. November 1912 als Sohn des deutschen Einwanderers Hugo Stroessner aus Hof in Bayern und Heriberta Matiauda in Encarnación geboren. Stroessner schlug die militärische Laufbahn ein und gehörte zu den Veteranen des >Chacokrieges, ohne sich dabei besonders hervorgetan zu haben. Er war dabei, als im September 1932 das >Fortín >Boquerón unter großen Opfern von den Bolivianern zurückerobert wurde. Nach dem Krieg setzte Stroessner seine Karriere im Militär fort und war mitbeteiligt an den vielen militärischen Aufständen und Revolutionen im Lande. Bei der fünfmonatigen >Revolution von 1947 stand er auf Seiten der herrschenden Colorado Partei. Die meisten Revolutionen fielen zu Stroessners Gunsten aus. Nur einmal, Anfang 1949, musste er für kurze Zeit ins Exil. Danach war sein militärischer und politischer Aufstieg unaufhaltsam. Von Juni 1948 bis September 1949 hatte Paraguay sechs Präsidenten. Paraguay hatte 1950 rund 1.425.000 Einwohner.
Im August stieg er zum Brigade-General auf und am 13. Oktober 1951 wurde er mit 39 Jahren Kommandant der paraguayischen Streitkräfte. Vom 3. bis zum 8. Mai 1954 fanden in Asunción und Umgebung mehrere komplexe militärische Aufstände statt, in deren Folge Präsident Federico Chaves abgesetzt und Tomás Pereira an seiner Stelle eingesetzt wurde. Am 11. Juli 1954 fanden nationale Wahlen statt und der Kandidat der Roten Partei (Colorados), General Alfredo Stroessner, wurde als neuer Präsident gewählt. Am 15. August 1954 trat er sein Amt an.
Mit Stroessner als Präsident fand die anarchistische und chaotische Lage im Land ein Ende und wirtschaftlicher Fortschritt trat an seine Stelle (wenn schon nicht Friede und Gerechtigkeit für alle). Das Schlagwort seiner Regierung war: Friede und Fortschritt (Paz y Progreso). Es folgen einige Beispiele des wirtschaftlichen Fortschritts:
Die Inflation im Lande wurde gebremst und der Dollarwechselkurs offiziell mit Gs. 126 festgelegt. So ist er etwa drei Jahrzehnte gehalten worden. Der Straßenbau in ganz Paraguay wurde energisch in Angriff genommen, Banken gegründet, Telefon und fließendes Wasser in Asunción eingerichtet und die für die Mennoniten im >Chaco lebensnotwendige >Ruta Transchaco wurde gebaut. 1962 hatte Paraguay 1.819.103 Einwohner, davon in Asunción 288.882. Im Jahr 1965 wurde auch der Bau des Elektrizitätswerkes am Río Acaray in Angriff genommen, das erste Wasserkraftwerk Paraguays. Das erste Fernsehen in Paraguay, Canal 9, Cerro Corá, wurde am 29. September 1965 eröffnet. Die Landwirtschaft erlebte einen ungeheuren Aufschwung durch die Einführung der Soja- und Weizenkultur. Davon profitierten auch die mennonitischen Siedlungen in Ostparaguay. Der nationale Weizenplan wurde in Verbindung mit der >Kolonie >Friesland in Ostparaguay eingeführt und die ersten Weizensilos Paraguays in dieser mennonitischen Kolonie errichtet.
Am 25. August 1967 wurde die Staatsverfassung von 1940 durch eine neue ersetzt und damit Stroessners Macht befestigt und seine Wiederwahl ermöglicht. 1969 wurde das moderne Hospital des IPS (Instituto de Previsión Social) eingeweiht. Im Jahre 1972 war die Bevölkerungszahl Paraguays auf 2.354.071 angewachsen, davon in Asunción 392.753 Einwohner. Im Jahr 1973 einigten sich Paraguay und Brasilien, Itaipú, das größte Stauwerk der Welt, zu planen und zu bauen. Der Bau war in jeder Hinsicht ein Erfolg und förderte die Wirtschaft Paraguays. 1978 konnte die Brücke Puente Remanso, 1.370 m lang, über den Río Paraguay, eingeweiht und dem Verkehr übergeben werden. Sie ist ebenfalls von großer wirtschaftlicher Bedeutung für den >Chaco und die Mennoniten. 1982 hatte Paraguay 3.062.000 Einwohner, davon 455.517 in Asunción
Doch der erfreuliche wirtschaftliche Fortschritt war nicht in gleichem Maße von einem politischem Fortschritt und einer Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung begleitet. Mit Unterstützung des Heeres und der Polizei wurde die politische Opposition unter Druck gesetzt, verfolgt und eine Anzahl zu Tode gefoltert bzw. ermordet. Einige Tausend Paraguayer wurden aus politischen Gründen gezwungen, ins Exil zu gehen.
Doch trotz der harten Maßnahmen gelang es der Stroessner-Regierung nicht, die Opposition gefügig zu machen bzw. auszuschalten. Ungerechtigkeiten häuften sich und die >Korruption im Lande, durch Stroessners Regierungssystem gefördert, nahm erschreckend zu. Auch die Mennoniten blieben von diesem negativen Einfluss nicht unberührt. Ein Beispiel dafür ist die doppelte Buchführung, die auch bei den meisten mennonitischen Unternehmen gängige Praxis war. Weitgehend passten sie sich den gegebenen Verhältnissen an.
Im Lande häuften sich im Laufe der Jahre die Proteste. Sie wurden alle blutig und grausam niedergeschlagen. 1984 wurde die größte paraguayische Tageszeitung abc-Color auf Verordnung der Regierung geschlossen. Etwas später folgte Radio Ñandutí. Durch solche diktatorischen Maßnahmen isolierte sich Paraguay international immer mehr. Die Regierung geriet immer stärker in die Kritik.
Doch den Todesstoß bekam die Stroessner-Regierung dann nicht von außen bzw. von der Opposition, sondern aus den eigenen Reihen. General Andrés Rodríguez, dessen Tochter Stroessners Sohn geheiratet hatte, setzte Stroessner in einem blutigen Putsch in der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1989 ab, um dadurch seiner eigenen Absetzung zu entgehen. Stroessner musste nach Brasilien ins Exil gehen und ist dort am 16. August 2006 gestorben.
Das Verhältnis der Mennoniten zur Stroessner-Regierung genauer zu untersuchen, ist eine Arbeit, die noch aussteht. Hier soll nur kurz auf einige Aspekte hingewiesen werden. Dabei gibt es einige auffallende Parallelen zum Verhältnis der Mennoniten zu den Zaren in Russland, die einem Kenner der Geschichte auffallen.
Die Zeit unter Stroessner wird von den Mennoniten durchgehend als eine Glanzzeit angesehen. Unter der Stroessner-Regierung haben wir es sehr gut, ist ein Ausspruch, der von leitenden mennonitischen Personen oft ausgesprochen und von den internationalen Medien zitiert wurde. Unter Stroessner erlebten die Mennoniten einen wirtschaftlichen Aufschwung. Stroessner war den Mennoniten wohl gesonnen, und er hat sie offiziell und privat sehr oft besucht. Wiederholt hat er von ihnen als von seinen Freunden gesprochen. Wohl jeder >Oberschulze der mennonitischen Kolonien im Chaco hat ein oder auch mehrere Male persönlichen Kontakt mit Alfredo Stroessner gehabt offiziell oder privat. Das ist einmalig in der Geschichte der Mennoniten weltweit.
Einige Bemerkungen von Mennoniten selbst zu ihrer Haltung und Einstellung zur Stroessner-Regierung: – Die Mennoniten waren allgemein mit sich selber beschäftigt und genossen es, wenn man sie in Ruhe ließ. – Wer nicht Probleme sucht, hat sie nicht. Kritik an der Regierung hätte die Mennoniten unweigerlich in Schwierigkeiten gebracht. – Man darf den schlafenden Löwen nicht am Schwanz kitzeln, war eine gängige Bemerkung mennonitischer Obrigkeit. Dahinter steckte die Angst vor dem Verlust der mennonitischen Privilegien (>Gesetz 514). – Wir brauchen eine starke Regierung, und wo gehobelt wird, da fliegen Späne.
Im Allgemeinen waren die Mennoniten stolz und zufrieden, dass ihre Arbeitsethik und Leistung von der Regierung anerkannt und geschätzt wurden. Man genoss das Wohlwollen der Regierung. Stroessner wusste den Fleiß und die Unterwürfigkeit der Mennoniten zu schätzen, und die Mennoniten profitierten von dem Wohlwollen einer totalitären Regierung.
Kritik Einzelner an der Regierung wurde von den leitenden Personen in der Kolonieverwaltung und von den Gemeinden entschieden verurteilt.
Stroessner hatte eine besondere Vorliebe für die Mennoniten. Schon seit Beginn der fünfziger Jahre flog Stroessner als General und Kommandant des Heeres öfters in den Chaco, um dort mit seinen Freunden und engen Vertrauten zu jagen. Sein bevorzugtes Ziel war der Ort des ehemaligen Fortíns >Boquerón in unmittelbarer Nähe des Dorfes Tiege, Kolonie >Neuland. Da gab es eine Landepiste auf offenem Kamp. Dort angekommen, ließ er sich von Mennoniten mit ihren leichten Pferdewagen, den Buggys, durch die Gegend fahren und besuchte die ehemaligen Schlachtfelder. Auf dem Rückflug nahm er in der Regel Käse und Butter mit, die er von den Mennoniten kaufte. Bei einer Gelegenheit nahm er drei mennonitische Jungen und einen Indianer als Anerkennung für ihre Hilfe nach Asunción in seinem Flugzeug mit.
Kurz nach seinem Antritt als Präsident am 15. August 1954 besuchte er die >Mennonitenkolonien am 12. November gleichen Jahres. Über 3.000 Personen aus den mennonitischen Siedlungen strömten nach Filadelfia, um den Präsidenten zu sehen. Am Tor zum Hof des Zentralschulgebäudes las man auf einem Plakat: ¡Viva el Protector de la Economía Nacional! (Es lebe der Beschützer der nationalen Wirtschaft). Bei dieser Gelegenheit versprach der Präsident den Mennoniten, eine Straße von Asunción bis in die Kolonien zu bauen (>Ruta Transchaco). Großen Applaus ernteten die folgenden Worte des Präsidenten: Unter meiner Regierung soll der López-Palast jedem Mennoniten offen stehen sowie die Türen jedes einzelnen Ministeriums. Denn wir alle sind Diener des Volkes!
Der Besuch des Präsidenten fand ein starkes und positives Echo in der nationalen Presse. Es dauerte auch nicht lange, da hörte man die scherzhafte Bemerkung, dass Stroessner der Präsident der Mennoniten sei. Sein Schoßkind waren sie sicherlich, so wie die Mennoniten in Russland das Schoßkind der Zaren waren.
Fortan waren Stroessnerbesuche in den mennonitischen Kolonien keine Seltenheit. Ein Blick in die Jahrgänge des >Mennoblattes verzeichnet zahlreiche Besuche. Anlass waren Einweihungen von neuen Gebäuden in den Kolonien und vor allem Jubiläumsfeiern. So liest man folgende Schlagzeilen: Großer Tag in Filadelfia: Präsident Strößner besucht die Chacokolonien (Mennoblatt, Oktober Nr. 20 1961, 6-7), oder Hoher Besuch in Loma Plata: Einweihung von Krankenhaus und Aula (Mennoblatt, 16. August 1966, Nr. 16, 2-3). Daneben gab es manche unangemeldeten Besuche in den Kolonien.
Einige zusammenfassende Bemerkungen zu den Berichten des >Mennoblattes über die Besuche des Präsidenten zu den Mennoniten sind angebracht: – Der Präsident machte seine Besuche in der Regel mit einem großen Gefolge, in dem vor allem das Militär, die Polizei und seine Minister den Vorrang hatten. Die Kosten, die damit für die Kolonien entstanden, waren recht hoch, aber man hat sie ohne Murren zu Ehren des Präsidenten getragen. – Die Zahl der Besucher ist erstaunlich. Bei offiziellen Besuchen stieg sie immer in die Tausende und bei ganz besonderen Anlässen, wie die 50-jährige Jubiläumsfeier Fernheims, bis auf 14.000. Unter den Besuchern befanden sich in der Regel viele Indianer. Kornelius >Walde, Sekretär des >CSEM, war praktisch bei allen Besuchen präsent und galt als Vertrauensmann des Staatschefs. Alle Verbindungen der Mennoniten zum Staatspräsidenten liefen über ihn, ganz im Sinne der herrschenden politischen Verhältnisse. In den nationalen Medien wird er als Führer aller Mennoniten Paraguays bezeichnet. Als solcher wurde ihm am 3. Dezember 1986 von der Regierung das Große Verdienstkreuz für Arbeit (Orden del Mérito de Trabajo en el Grado de la Gran Cruz) verliehen, als Führer dieser arbeitsamen religiösen Gemeinschaft. Der Minister für Industrie und Handel Dr. Delfín Ugarte Centurión sagte bei der Gelegenheit: Kornelius Walde ehren, heißt die Mennonitenkolonien ehren (Mennoblatt, 16. Dezember 1986, 9). – Bei den Besuchen in den ersten Jahren knüpft Stroessner in seinen Reden meist an seine Erfahrungen im Chacokrieg an. Immer ist er des Lobes voll über die Leistungen der Mennoniten, die für das ganze Land vorbildlich dastehen. Er hebt ihre Arbeitsamkeit, ihren Fleiß und ihre Ordnung hervor. Dann sagt er ihnen immer auch seine volle Unterstützung zu. – Die Mennoniten unterstützten Stroessner bedingungslos als gefügige und untertänige Bürger, die sich von jeglicher direkter Beteiligung und Kritik an der >Politik fern hielten. Dies zu tun, hätte ihnen nur geschadet, dessen waren sie sich bewusst. Von kritischen internationalen Besuchern ist diese passive Haltung als blinde Unterwürfigkeit getadelt worden. Politische Verbrechen von Seiten der Regierung wurden von den Mennoniten schweigsam hingenommen, um Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten irgendwelcher Art vorzubeugen.
Gerhard Ratzlaff
Berichte aus dem Mennoblatt in den Jahren 1954 – 1989.