Allgemeine Schulverordnung

Bei der Allgemeinen Schulverordnung handelt es sich um eine umfassende Regelung des Schulunterrichts in den >traditionellen mennonitischen Siedlungen Kanadas, die vom Gemeindevorstand der Gemeinde in der >Ostreserve aus Kanada für die Siedlung in Paraguay neu herausgegeben worden ist. Der genaue Zeitpunkt der originalen Ausgabe ist nicht bekannt. (Auch die “Mennonite Encyclopedia” gibt darüber keine Auskunft.) Für die in der >Kolonie Menno bestimmte Fassung heißt es am Ende: Durchgesehen und neu herausgegeben von dem Kirchen Lehrdienst der Gemeinde zu Chortitz mit Zustimmung der Gemeinde in der Mennoniten Kolonie in Paraguay. (Osterwick, den 14. November 1928.) Darunter sind die Namen des Lehrdienstes der Kolonie >Menno aufgeführt: Ältester Martin C. >Friesen, Prediger Johann Schroeder, Abr. E. Giesbrecht, Johan W. Sawatzky, Abraham A. Braun und Diedrich D. Wiebe sowie Diakon Wilhelm L. Giesbrecht.
Die Verantwortlichen für die geistig-religiösen Belange der Siedlung hatten die in Manitoba erstellte “Allgemeine Schulverordnung” überarbeitet und sie im Dorfe Osterwick in >Menno am 14. November 1928 neu herausgegeben. Menno ist damit die einzige mennonitische Siedlung in Südamerika, die von Anfang an dem schulischen Unterricht schriftlich gefasste Erziehungs- und Bildungsziele zugrunde gelegt hat.
Diese Allgemeine Schulverordnung wurde auf gutem Papier mit ornamentaler Umrahmung gedruckt, unter Glas eingerahmt und in die Schulen gehängt, damit sie dem Lehrer jederzeit vor Augen stehe. Auch konnte sie dort von allen Bürgern gelesen werden, weil die Schulen ja auch für die sonntäglichen Gottesdienste benutzt wurden. Sie hing in manchen Schulen noch bis Anfang der 1980er Jahre.
Die Allgemeine Schulverordnung hing nicht nur als Ornament in der Schule. Martin W. >Friesen schreibt in “Kanadische Mennoniten bezwingen eine Wildnis”, Seite 126: In der Allgemeinen Schulverordnung war das von der Gemeinde gewünschte und geforderte Schulsystem festgelegt. Wenn die Dorfsbürger zusammen kamen (Schultebott), um einen Lehrer fürs neue Schuljahr einzusetzen, wurde diese Schulverordnung gelesen.
Die Allgemeine Schulverordnung begann mit folgender Einleitung: Paulus, ein Apostel unsers Herrn Jesu Christi spricht in 2. Tim. 3, 15: ‚Und weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt, kann dich dieselbe unterweisen zur Seligkeit.’ Dieses ist also der Zweck des menschlichen Lebens und die notwendigste Aufgabe in allen natürlichen Lebenspflichten. Sehr nachahmungswürdig ist in dieser Hinsicht das herrliche Zeugnis, welches Gott dem Stammvater des jüdischen Volkes, nämlich Abraham, gab, wenn er im ersten Buch Mose 18, 19 also spricht: ‚Ich weiß, er wird befehlen seinen Kindern und seinem Hause nach ihm, daß sie des Herrn Wege halten und thun, was recht und gut ist.’ Dieses aber von uns auf die nachfolgenden Generationen weiter zu pflanzen, ist der Unterricht in den Schulen – welches die erste gemeinschaftliche Pflanzstätte des Christenthums ist – ganz unumgänglich notwendig. Und weil wir denn ein Volk dem Namen nach als ein christliches Volk von Nordamerika hier eingewandert – welches auch in Kanada unser Streben war – so soll es auch hier sein; so ist es auch jedem unter uns bekannt, daß wir es auch nicht unterlassen dürfen; sondern dem Samen nach zu einem lebendigen Christenthum in einem guten, richtigen und dem Worte Gottes gemäßen Schulunterricht auszusäen, welches nicht allein unser Streben ist, sondern die Regierung, die uns die Erziehung unserer Kinder in den Schulen gesetzlich zugesichert hat, wünscht, daß wir selbiges an unsere Kinder befördern sollen und sie nach den Grundregeln unseres Glaubensbekenntnisses unterrichten lassen sollen. Deswegen wir auch im Lehrdienste – welcher den Schulvorstand bildet – beschlossen und für notwendig geachtet haben, eine allgemeine Schulverordnung oder Regel abzufassen, nach welcher das Schulwesen zu leiten ist, welches in folgendem erklärt werden wird.
Darauf folgten die 10 Punkte, welche die Rahmenbedingungen für die Schulen festlegten: 1. Der Lehrer sollte ein friedliebendes und gehorsames Gemeindeglied und ordnungsliebend sein und den Zöglingen mit gutem Beispiel vorangehen. 2. Der Schulunterricht sollte mit Gesang aus dem Kirchen-Gesangbuch und mit einem Gebet angefangen und geschlossen werden. 3. Der Unterricht bestand in Lesen, Schreiben und Rechnen. Lesen sollte möglichst mit der richtigen Betonung der Worte und Zeicheneinhaltung geschehen. Schreibunterricht sollte in deutschen und lateinischen Buchstaben gegeben werden, und der Lehrer musste monatlich Probeschriften von den Schülern abverlangen. Der Unterricht im Rechnen sollte jedem Schüler nach dessen Fähigkeit geboten werden. 4. Die Hauptaufgabe der Schule sei es, den Schülern den Religionsunterricht zu geben, durch biblische Geschichten und den Katechismus, woraus ihnen so viel sie zu begreifen vermögen, deutlich gemacht werden müsse. Hauptinhalte: Der Sündenfall und die Erlösung durch Christus, seine Geburt, Leiden, Sterben und Auferstehung. Die erste natürliche Pflicht eines Kindes, die der Gehorsam ist, sollte besonders gelehrt werden. 5. Besondere Beachtung sollte der Gesang finden, wobei das mehrstimmige Singen gänzlich verboten war. 6. Die Schullehrer sollten sich dreimal im Schuljahr versammeln, um mit dem Schulvorstand über Lehrgegenstände gemeinschaftlich zu beraten und so schwachen Lehrern zu helfen. 7. Die Lehrer mussten ein monatliches Anwesenheitsverzeichnis ihrer Schüler führen und es dann dem Schulvorstand vorstellen. Eltern, die ihre Kinder ohne Grund zu Hause hielten, mussten sich vor der Gemeinde verantworten. 8. Die Kinder sollten reinlich, ordentlich und rechtzeitig in die Schule kommen sowie dem Lehrer und den Eltern Gehorsam leisten. 9. Der Lehrer hatte sich seinen Schülern gegenüber väterlich zu betragen und allen gleiches Recht widerfahren zu lassen. Dazu gehörte auch, die Züchtigung anzuwenden und Zwistigkeit oder Streit unter den Kindern zu schlichten. 10. Auch Eltern, die keine Kinder hatten, waren verpflichtet, sich an den Unterhaltskosten der Schule zu beteiligen wie auch dem Lehrer des Dorfes eine gewisse Menge an Lebensmitteln, Brennmaterial oder sonstige Sachleistungen, die zu seinem Lohn gehörten, zu zahlen. Zwei Drittel zahlte die Dorfgemeinschaft, das andere Drittel die Eltern der Kinder zwischen 6 und 12 bzw. 14 Jahren.
Heinrich Ratzlaff, Loma Plata/Uwe S. Friesen
Martin W. Friesen: Kanadische Mennoniten bezwingen eine Wildnis, 50 Jahre Kolonie Menno – erste mennonitische Ansiedlung in Südamerika. Neu überarbeitete Ausgabe. Loma Plata: Druckerei Friesen, 2004, S. 121-136; Martin W. Friesen: Neue Heimat in der Chacowildnis. 2. Auflage. Asunción: Imprenta Modelo, 1997; Heinrich Ratzlaff: Das Schulwesen der Kolonie Menno. Vom Anfang der Siedlung bis zur Übergabe der Vereinsschule an die Kolonie. Hg. Geschichtskomitee der Kolonie Menno im Auftrage der Schulverwaltung; 1. Auflage. 2003; Geschichtskomitee der Kolonie Menno (Hg.): Unter der heißen Sonne des Südens, 75 Jahre Kolonie Menno – Erste mennonitische Siedlung in Südamerika, 1927 – 2002. 1. Auflage, 2002, S. 73.