Benjamin H. Unruh (1881 – 1959) wurde 1881 in Timur-Bulat (Philippstal) geboren. Nach der Zentralschulausbildung ging Unruh an das Lehrerseminar in Halbstadt, bestand die Examen in den russischen Fächern und absolvierte zusätzlich die Prüfungen in Religion und Deutsch. Eigentlich sollte er anschließend seine Tätigkeit als Lehrer beginnen, doch mennonitische Gönner ermöglichten es ihm, zum Studium nach Basel in die Schweiz zu fahren, um dort an der Universität Germanistik und Theologie zu studieren. Dieses Studium schloss er erfolgreich ab und wurde zum Lizenziaten der Theologie promoviert.
Im August 1907 heiratete er Frieda Hege und zusammen gingen sie anschließend nach Russ-land, wo Unruh im Auftrag des Molotschnaer Mennonitischen Bildungsvereins an der höheren Lehranstalt in Halbstadt angestellt werden sollte. Da er nicht sofort mit dem Unterricht beginnen konnte, vervollständigte er seine germanistischen Studien und erweiterte seine Kenntnisse in der russischen Literatur. Er machte auch eine pädagogische Dienstprüfung im Fach Deutsch mit sehr gutem Erfolg. 1910 wurde B. H. Unruh endgültig als Gymnasiallehrer mit den Fächern Deutsche Sprache und Literatur sowie Religion ins Beamtenverhältnis berufen. Außerdem erhielt er einen Lehrauftrag an einem Theologischen Seminar.
Mit dem Ersten Weltkrieg begann Unruhs öffentliche Arbeit für die mennonitische Gemeinschaft. Er wurde in die Studienkommission berufen, die 1919/20 nach Nordamerika fuhr, um dort die Ansiedlungsmöglichkeiten für mennonitische Auswanderer aus Russland zu erkunden. Auf der Rückreise wurde ihm in Rotterdam mitgeteilt, dass er nicht mehr in die Sow-jetunion zurückkehren dürfe. Daher blieb er in Deutschland und setzte sich mit Unterstützung der Mennoniten in Holland und Nordamerika für die Interessen der russlanddeutschen Mennoniten ein. Seine Bemühungen um die Ausreise der Mennoniten in der Sowjetunion erreichten einen Höhepunkt, als es gelang, mit Hilfe der deutschen Regierung und zahlreicher Hilfsorganisationen mehr als fünftausend Personen, darunter fast viertausend Mennoniten, über die Grenze nach Deutschland ausreisen zu lassen. Darunter waren auch die späteren Siedler der >Kolonie >Fernheim.
Als Adolf Hitler an die Macht kam, erwartete Unruh, dass durch ihn dem Bolschewismus Einhalt geboten würde, und er sah neue Hoffnung für die Brüder und Schwestern in der Sowjetunion. Seine Sympathie für die nationalsozialistische Bewegung in Deutschland fand bei den holländischen und nordamerikanischen Mennoniten kein Verständnis, während die meisten Mennoniten in Deutschland und in Fernheim seine Auffassung teilten.
B. H. Unruh war eine begabter Lehrer, der in Russland an der Zentralschule mit großem Erfolg unterrichtet hatte und in Deutschland an der Universität lehrte. Er setzte sich zeitlebens mit diplomatischem Geschick für die Russlandmennoniten ein, scheute dabei auch nicht den Kontakt mit den Nationalsozialisten. Er war ein gewissenhafter Forscher und vor allem ein ökumenischer Christ, der die Auffassung vertrat, nicht weniger Brüder und Schwestern haben zu wollen, als Jesus Christus sie habe.
Jakob Warkentin
Jakob Warkentin: Benjamin Heinrich Unruh ein Lehrer, Forscher, Staatsmann. In: Ders.: Erziehung und Bildung im Raum der Kolonie, Asunción 2007, S. 126 ff.; B. H. Unruh: Fügung und Führung im Mennonitischen Welthilfswerk 1920 – 1933. Humanität in christlicher Sicht. Schriftenreihe des Mennonitischen Geschichtsvereins Nr. 8., Karlsruhe, 1966.