Chacokrieg

Der Chacokrieg (1932-1935) war der blutigste und längste Krieg Südamerikas im 20. Jahrhundert. Auf der Seite Boliviens forderte der Krieg etwa 65.000 Menschenleben (2 % der Bevölkerung), auf der Seite >Paraguays etwa 36.000 (3,5 % der Bevölkerung). Viele Tausend Soldaten verdursteten. (Über die Anzahl der Toten während des Krieges gab und gibt es keine genauen Angaben – nur Schätzungen. Sie werden von verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich angegeben). Über die Jahrhunderte hatten sowohl Bolivien als auch Paraguay dem >Chaco wenig Bedeutung beigemessen. Er schien zu lebensfeindlich und der Zivilisation verschlossen zu sein. Das Interesse Boliviens wuchs, nachdem es seinen Zugang zum Pazifischen Ozean (1884) verloren hatte und Erdöl im westlichen Chaco entdeckte, das ab 1920 von der Standard Oil Company, USA, ausgebeutet wurde. Bolivien suchte nun einen Zugang zum Atlantischen Ozean über den Río Paraguay. Infolgedessen kam es zu Grenzstreitigkeiten zwischen den beiden Ländern, wobei jedes Land den größten Teil des Chaco für sich beanspruchte.
Zunächst gab es Bemühungen, den Grenzkonflikt auf diplomatischem Wege zu lösen. Die Verhandlungen über verschiedene internationale Kommissionen zogen sich über Jahrzehnte hin, ohne jedoch den Grenzkonflikt zu lösen.
Ab Anfang des 20. Jahrhunderts begann Bolivien durch die Gründung von Fortines (militärische Stützpunkte) die schrittweise militärische Besetzung des Chaco. Ab 1923 drang Bolivien entlang dem Pilcomayofluss tief in den paraguayischen Chaco ein. Am 26. Februar 1927 (kurz nachdem die ersten kanadischen Mennoniten in >Puerto Casado angekommen waren) wurde der paraguayische Leutnant Adolfo Rojas Silva und einige Soldaten vom bolivianischen Militär auf >Fortín Sorpresa, im südlichen Chaco am Río Confuso gelegen, festgenommen. Bei dem Versuch zu entfliehen wurde der Leutnant erschossen. Das erste Blut im Streit um den Chaco war geflossen. Es setzten wieder diplomatische Verhandlungen ein, aber der Grenzkonflikt konnte trotz ernsthafter Bemühungen nicht beigelegt werden. Anfang 1927 gründeten die Paraguayer das Fortin Toledo, um die Jahreswende 1927/8 >Isla Poí, Mitte 1928 >Boquerón, südlich von >Menno gelegen, und die Bolivianer Huijay, von den Paraguayern umbenannt in >Carayá. Dieser militärische Vorstoß Paraguays geschah gleichzeitig mit dem Einzug der kanadischen Mennoniten in den Chaco.
Am 5. Dezember 1928, als die Mennos bereits im Chaco angesiedelt waren, eroberten paraguayische Soldaten unter Coronel Rafael Franco das bolivianische Fortín Vanguardia, nördlich von Bahía Negra am oberen Río Paraguay gelegen, und zerstörten es. Die Bolivianer eroberten in einem Vergeltungsakt Boquerón südlich von Menno am 14. Dezember 1928.
In beiden Ländern herrschte Kriegsstimmung, und sie bauten ihre Fortines aus. Zu alledem trafen ab Ende April die Russlandflüchtlinge nach und nach im Chaco ein und gründeten neben Menno die >Kolonie >Fernheim – bis 1932 rund 2.000 Personen. Diese Einwanderung führte zu weiteren diplomatischen und militärischen Spannungen zwischen den beiden Ländern. Am 15. Juni 1932 eroberten die Bolivianer das strategisch wichtige Fortín Carlos Antonio López an der östlichen Seite der Lagune Pitiantuta und töteten den Gefreiten Oliverio Talavera. Nun war kein Halten mehr. Die Paraguayer schlugen zurück und eroberten den strategisch wichtigen Stützpunkt am 15. Juli 1932 zurück. Die Bolivianer reagierten mit der Eroberung der Fortines Corrales und Toledo am 27. und 28. Juli 1932, die westlich von Fernheim liegen, drei Tage später (am 31. Juli) >Boquerón, südlich von >Menno (heute in <Neuland) und am 8. August den kleinen Stützpunkt >Carayá südlich von >Fernheim (den die Paraguayer kurz vorher verlassen hatten), der jedoch schon am 17. August von den Paraguayern zurückerobert wurde.
Am 31. Juli erhielt Oberstleutnant José Felix >Estigarribia von Asunción den Befehl, die >Mennonitenkolonien in Schutz zu nehmen und sie unter keinen Umständen in bolivianische Hände fallen zu lassen, da ihre strategische Lage für die Versorgung des paraguayischen Heeres äußerst wichtig war. Am 1. August rief Paraguay die allgemeine Mobilmachung aus. Täglich zog nun paraguayisches Militär durch die Kolonie Menno und mehr und mehr auch durch die Kolonie Fernheim, teils zu Fuß, teils auf Ochsenkarren und Lastwagen.
Am 1. September 1932 erhielt Estigarribia vom Präsidenten Eusebio >Ayala den Befehl, Boquerón zurückzuerobern. Um diese Zeit hatte Paraguay bereits etwa 13.500 Soldaten im Felde, der größere Teil davon auf >Isla Poí. Auf bolivianischer Seite waren es im Vergleich dazu etwa 4.000. Der Angriff unter Estigarribia begann mit 3.500 Mann – mehr wurden später eingesetzt – die sich ab dem 7. September in Richtung Boquerón, rund 50 km entfernt, in Bewegung setzten und dabei am 8. September auf einige bolivianische Spähtruppen stießen. Der eigentliche Kampf um Boquerón begann am 9. September 1932 um 7.00 Uhr morgens und endete nach langen, blutigen und verlustreichen Kämpfen mit dem Sieg der paraguayischen Truppen am 29. September. Heute ist der 29. September ein nationaler Feiertag und wird als Tag des Sieges gefeiert (Día de la Victoria).
Schwere Kämpfe fanden im Februar und März 1933 um Toledo in unmittelbarer Nähe westlich von Fernheim während 16 Tagen statt, als die Bolivianer alles daransetzten, diesen strategisch wichtigen Stützpunkt zu erobern und von da aus auf die mennonitischen Siedlungen vorzustoßen und Isla Poí vom Norden her anzugreifen. Rund 700 Leichen gefallener bolivianischer Soldaten blieben unbeerdigt auf offenem Felde liegen, den Geiern, wilden Tieren und der Verwesung preisgegeben. Danach entfernte sich das Kampffeld nach und nach von den Kolonien. Paraguay erklärte Bolivien am 10. Mai 1933 den Krieg, als alle Aussichten auf eine eventuelle friedliche Lösung verflogen waren.
Die paraguayischen Truppen drangen unaufhaltsam in Richtung Bolivien vor, bis sie an den Fuß der Anden gelangten. Am 12. Juni 1935 (zum nationalen Feiertag in Paraguay erhoben) wurde endlich in Buenos Aires, Argentinien, von den Vertretern beider Länder das Protokoll für einen Waffenstillstand unterschrieben, der dann am 14. Juni um 12.00 Uhr in Kraft trat (>Chacofrieden). Damit war der Krieg beendet. Am 21. Juli 1938 einigten sich die beiden Länder nach Festlegung der Grenzen auf einen endgültigen Friedensvertrag.
Hinsichtlich der Mennoniten im Kreuzfeuer des Chacokrieges kann Folgendes zusammenfassend festgestellt werden:
– Als die ersten Mennoniten im Jahr 1927 in den Chaco kamen, waren sie nicht gut über die Grenzschwierigkeiten zwischen Paraguay und Bolivien informiert. Sie kamen in der Gewissheit, dass das Gebiet, in dem sie sich niederließen, definitiv zu Paraguay gehöre.
– Die Regierung nutzte die Unwissenheit der Mennoniten nicht nur, um den Chaco zu bevölkern, sondern auch, um sich das Anspruchsrecht auf das Gebiet im Streit mit Bolivien zu sichern.
– Die Ansiedlung und Gegenwart der Mennoniten im Chaco verschärfte den Konflikt zwischen Paraguay und Bolivien, war aber keineswegs der Auslöser des Krieges.
– Der Krieg war für die Mennoniten eine unangenehme Überraschung. Sie verweigerten jede direkte Beteiligung und beteten für ein schnelles Ende.
– Dadurch dass die Mennoniten Wasser, Lebensmittel, Wege und Transport zur Verfügung stellten, hat ihre Präsenz zum Sieg der paraguayischen Armee und damit der Eroberung des Chaco beigetragen.
– Die Mennoniten profitierten materiell vom Chacokrieg. Es war das erste Mal, dass Bargeld in die Kolonien kam. Es war auch eine Gelegenheit, näheren Kontakt mit den Paraguayern aufzunehmen und so auch ihre Eigenart kennen und schätzen zu lernen, wenn dieser Kontakt auch bedingt und einseitig war. Der Kontakt während des Krieges hat zu einem guten Verhältnis zwischen Paraguayern und Mennoniten geführt, der bis heute besteht. Die Zeitschrift >Mennoblatt hat immer wieder die Disziplin und Ordnung des paraguayischen Heeres anerkannt und gelobt. Nur in wenigen einzelnen Fällen sind Mennoniten von paraguayischen Soldaten belästigt worden. In der Kolonie Menno, im Dorf Chortitza, gab es einen Toten zu beklagen, als Soldaten ein Mädchen überfielen. Der Vater eilte seiner Tochter zu Hilfe und wurde von einem Soldaten erschossen.
– Durch den Krieg erhielten die Mennoniten eine unerwartete Bekanntheit und Sympathie, nicht nur im Lande, sondern auch international. Dies geschah durch die Soldaten, die nach Hause zurückkehrten sowie durch die nationale und internationale Presse. Im Dezember 1933 besuchte eine Delegation des Völkerbundes die Mennoniten. Unter ihnen waren Vertreter aus England, Frankreich, Spanien, Italien, Mexiko und Uruguay. Alle zeigten großes Interesse an den Kolonien. – Zur Zeit des Krieges wurden die Kolonien mit Militärärzten versorgt, da eine große Anzahl von Soldaten dort interniert war und da aufgrund des Krieges Krankheiten in den Dörfern ausgebrochen waren.
– Obwohl das Militär einerseits die Wege der Mennoniten benutzte, nutzten andererseits diese auch die Wege des Militärs (picadas oder rectas genannt), die in den Busch geschnitten worden waren.
– Die mennonitischen Schmiede waren durch den Krieg im Nachhinein mit genügend Eisen versorgt, das auf den Schlachtfeldern am Rande der Wege als Kriegsschrott liegen geblieben war. Für andere, die altes Eisen und Munition sammelten, war dies eine Möglichkeit, sich Bargeld zu verschaffen.
– Militärisch hat das paraguayische Heer den Chaco erobert, aber, so sagt es Friedrich Kliewer, Brasilien, die Mennoniten haben die “kolonisatorische Großtat” erbracht. Sie waren es, die den Weg zur Erschließung des Chaco freimachten.
Der Blutzoll des Krieges war für beide Länder sehr hoch. Aber auch der Blutzoll der Mennoniten bei der Besiedlung des Chaco war hoch. In Menno starben im Jahre 1927 von 1.765 Einwanderern auf dem Weg in den Chaco 171 Personen, das sind fast 11 %. In der Kolonie Fernheim starben im Jahr 1930 von 1.437 Einwanderern 95 Personen; dies sind 6,5 %.
Gerhard Ratzlaff
Peter P. Klassen: Kaputi Mennonita: Arados y fusiles en la guerra del Chaco. Traducido al castellano por K. Neufeld. Asunción, Paraguay, 1976; Roberto Querejazu Calvo: Masamaclay: Historia política, diplomática y militar de la Guerra del Chaco. La Paz, Bolivia 1965; Leslie B. Rout: Politics of the Chaco Peace Conference 1935-1939. Austin & London: University of Texas Press, 1970; Alberto T. Taborga: Boquerón: Diario de campaña – Guerra del Chaco. La Paz, Bolivia, 1970; David H. Zook: La conducta de la Guerra del Chaco. Traducido del inglés por Pablo Max Insfrán, Buenos Aires, 1962; Gerhard Ratzlaff: Cristianos Evangélicos en la Guerra del Chaco, 1932 – 1935. Asunción, Paraguay, 2008.