Aus der von den Mennoniten in den 1950er Jahren gegründeten Indianermission bzw. dem Arbeiterlager für indigene Arbeitsmigranten ist eine feste Arbeitersiedlung am Rande von Neu-Halbstadt, dem Zentrum der >Mennonitenkolonie >Neuland entstanden. Heute leben in Cayin ô Clim (Weißer Kolibri) auf einem Grundstück von 51 ha ca. 1.800 Personen, d.h. mehr Einwohner als in der >Kolonie Neuland auf einer Fläche von 248.000 ha.
In Cayin ô Clim leben vor allem >Nivaclé, die früher ein großes Territorium am mittleren und oberen Lauf des Pilcomayo besaßen, das bis in den inneren >Chaco reichte. Sie wurden im Laufe des Kolonisierungsprozesses durch den Landverkauf des Staates an Unternehmer, Generäle und Immigranten seit Ende des 19. Jahrhunderts enteignet. Der >Chacokrieg (1932 – 35), dessen Kämpfe sich insbesondere im Nivaclé-Gebiet abspielten, vertrieb viele Lokalgruppen. Der seit den 1950er Jahren wachsende Arbeitsmarkt und die Missionstätigkeit im Raum der Mennonitenkolonien mit Dienstleistungen im schulischen und gesundheitlichen Bereich sind Gründe für die indigene Zuwanderung.
Nivacléfrauen und -männer aus Cayin ô Clim arbeiten vorwiegend auf den Höfen und in den Betrieben mennonitischer Arbeitgeber. Während viele indigene Arbeiter im Dienstleistungsbereich (beispielsweise in der mennonitischen Kooperative) meist monatliche Anstellungen auf der Basis des staatlich festgelegten Mindestlohnes haben, ist der Arbeitskräftebedarf im landwirtschaftlichen Sektor von großen saisonalen Schwankungen geprägt und indigene Arbeiter werden als billige Tagelöhner angestellt. Seit den 1980er Jahren kommt es zu Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit in den Arbeitersiedlungen. Gründe dafür sind vor allem die Mechanisierung der Landwirtschaft seit den 1970er Jahren und die Umstellung von arbeitskraftintensivem Ackerbau zur wenig Personal beanspruchenden Viehwirtschaft (>Viehzucht).
Das Grundstück von Cayin ô Clim gehört der Kolonie Neuland und diese gewährt indigenen Arbeitern das Aufenthaltsrecht. Seit den 1980er Jahren sieht die mennonitische Verwaltung jedoch vor allem in der fehlenden Sesshaftigkeit, der unkontrollierten Zuwanderung, dem Wohnen vieler Menschen auf engem Raum und der Verelendung und Verwahrlosung in den Arbeitersiedlungen eine bedrohliche Entwicklung. Ängste vor Überfremdung ließen die Kolonieverwaltungen seit den 1990er Jahren repressive Maßnahmen in den indigenen Arbeitersiedlungen ergreifen. Dazu gehören Zuzugskontrollen durch die >Ordnungsämter der Kolonien, die offizielle Zuteilung von Grundstücken, Geburtenkontrolle sowie die Deportation von Familien in ihre Herkunftssiedlungen.
Aus der Sichtweise der in Cayin ô Clim lebenden >Nivaclé liegen die Probleme bei den niedrigen Löhnen, den häufig unsicheren und schlechten Arbeitsbedingungen, der saisonalen Arbeitslosigkeit im Winter, der prekären Infrastruktur (beispielsweise ist in jeder Trockenzeit die Wasserversorgung nicht gewährleistet), der mangelhaften medizinischen Versorgung und dem fehlenden Zugang zu Sekundarschulabschluss und Berufsausbildung für die Jugendlichen. Auch die Angst vor wiederholter Vertreibung ist im Alltag der Arbeitersiedlung gegenwärtig.
Die sozialen Unterschiede zwischen indigenen Arbeitern und mennonitischen Siedlern sind als strukturell bedingte Konflikte zu verstehen. Sie resultieren aus der ungleichen Verteilung des Landes und der Produktionsmittel, aus dem ungleichen Zugang zu Bildung und besseren Arbeitsplätzen sowie aus ungleichen Zugangsmöglichkeiten für die verschiedenen sozialen Gruppen zu politischer Partizipation und Repräsentation innerhalb des Nationalstaates. Trotzdem werden soziale Unterschiede in der Kolonie meist als kulturelle Differenzen erklärt; wodurch gesellschaftliche Ungleichheiten und Hierarchien ausgeblendet und reproduziert werden.
Ursula Regehr