Fleiß und Sparsamkeit sind als besondere Tugenden der Mennoniten gerühmt worden, und sie haben oft zu einem Wohlstand geführt, der die Siedlungen von ihrer Umgebung abhob. Ein anderer wesentlicher Zug kam in den meisten Fällen noch dazu, der sowohl auf die christliche Gesinnung als auch auf die sippenmäßige Verbundenheit zurückzuführen ist. Das war der Gemeinschaftssinn, ein gegenseitiges Verantwortungsgefühl, verbunden mit Hilfsbereitschaft. Das kam in Russland in einigen Regelungen zum Ausdruck, die dann alle Mitglieder mit einbezogen und sie in die Pflicht nahmen.
Eine davon war das >Scharwerk, auch Reihendienst genannt. Es war eine geregelte Gemeinschaftsarbeit, zu der alle Bewohner eines Dorfes verpflichtet waren. Das Scharwerk kannten die Mennoniten schon von Preußen her, wo es ursprünglich ein Frondienst der Landarbeiter gewesen war. Die Mennoniten hatten es dort in ihren Dörfern zu einer alle verpflichtenden Gemeinschaftsarbeit umgewandelt, um so gemeinsam den Deichbau und die Entwässerung durchführen zu können.
Eine andere ähnliche Einrichtung waren die Zechen, eine kompliziertere Form der Gemeinschafts- und Pflichtarbeit, die einem bargeldlosen Währungssystem gleichkommen konnte. Bei der Zeche wurde geleistete Arbeit und aufgebrachte Zeit in einen bestimmten Wert umgerechnet.
Beide Elemente waren die Voraussetzung dafür, dass die zu einem Dorf oder zu einer Kolonie gehörenden gemeinschaftlichen Einrichtungen wie Straßen, Schulen, Zäune, Gräben usw. aufgebaut und unterhalten werden konnten. Grundvoraussetzung dafür war, dass alle bereit waren, die Verpflichtungen auch zu erfüllen. Sie waren mit ein Grund für den oft mit Stolz und vielleicht auch mit einem bisschen Überheblichkeit gerühmten mennonitischen Erfolg. Sie mögen sogar mit die Ursache dafür gewesen sein, dass sich die Mennonitenkolonien vor den anderen Ausländerkolonien in Russland auszeichneten, wie Karl Lindemann hervorhebt, der den Mennoniten den höchsten Platz unter allen Völkern Russlands zuweist.
Zwei andere Einrichtungen mögen nicht weniger zur Funktion des Zusammenlebens und zum Aufschwung beigetragen haben, die >Feuerversicherung und das >Waisenamt.
Die Feuerversicherung auf Gegenseitigkeit, bei der Anfälligkeit der strohgedeckten Häuser eine lebensnotwendige Einrichtung, brachten die Mennoniten aus Preußen mit. Nur im Fall eines Brandes wurde eine Auflage auf alle Versicherten im Verhältnis zum Wert ihrer versicherten Güter erhoben. Sie schloss auch die gegenseitige Hilfe aller Beteiligten bei dem Betroffenen mit ein. Die Feuerversicherung ist dann auch von anderen deutschen Siedlungen in Russland übernommen worden.
Die Einrichtung eines Waisenamtes zur Regelung der Erbangelegenheiten war in der Kolonialordnung festgelegt worden. Zusätzlich heißt es in dem speziell für die Mennoniten um 1800 von Kaiser Paul I. gegebenen Privilegium: Anbei verstatten wir auch den Dorfgemeinden das Recht, nach ihren eigenen hergebrachten Gebräuchen Vormünder über die den Unmündigen zugehörigen Nachlassenschaften der Verstorbenen zu bestellen.
In den Mennonitenkolonien Russlands wurden das Waisenamt und die Witwen- und Waisenkasse zu einer festen und unentbehrlichen Einrichtung. Die Kasse war gleichzeitig eine Art Bank, die die deponierten Gelder gegen feste Zinssätze auslieh. Eine Teilungsordnung regelte alle Erbschaftsangelegenheiten bis ins Einzelne.
All diese wirtschaftlichen und sozialen Einrichtungen sind mit den Mennoniten aus Russland nach Lateinamerika mitgewandert. Hier wurden sie zu unentbehrlichen Elementen der Kolonisation.
Das gilt für das Scharwerk und die Zechen. Bei der Armut, die meist bei einer Ansiedlung vorherrschte, und bei dem Mangel an Geldmitteln boten diese Elemente die Möglichkeit, alle gemeinschaftlichen Einrichtungen im Dorf oder auch in der Kolonie aufzuführen.
Walter >Quiring berichtet, um nur ein Beispiel zu nennen, von dem Dorf Schönwiese in der Kolonie Fernheim im Chaco von Paraguay aus dem Jahr 1931, ein Jahr nach der Gründung der Kolonie, dass jede Wirtschaft im Dorf 114 Arbeitstage, also 36% der Arbeitstage des Jahres, für Gemeinschaftsarbeit aufbringen musste.
In der gleichen Kolonie wurde im September 1930, sofort nach der Ankunft aus Europa, Folgendes festgelegt: Ein Tagelohn physischer Arbeit sind 30 Zechen, ein Tagelohn geistiger Arbeit 40 Zechen. Einem Fußgänger, der für seinen Auftrag 30 km zurücklegt, wird ein Tag physischer Arbeit angerechnet. Ein Fuhrwerk verdient 0,01 Zeche für die Beförderung von 1 kg Fracht pro km. Alle Einzelheiten waren in einem Zechen-Statut festgelegt, und die Kolonieverwaltung führte genau Buch über alle Leistungen der Siedler.
Die Feuerversicherung und das Waisenamt waren den in Paraguay eingewanderten Mennoniten so wichtig, dass sie sie in das bei der Regierung 1921 beantragte Privilegium mit aufnehmen ließen. Sie stehen im Gesetz 514, Artikel 1, Absätze 3 und 4.
Peter P. Klassen
Peter P. Klassen : Das russländische Erbe der Mennoniten in Lateinamerika.. Jahrbuch 2000, hg. vom Verein für Geschichte und Kultur der Mennoniten in Paraguay .Asunción 2000, S. 22 ff.