Martin Leyvi Acú war ein Nivaclé-Indianer, der die vielseitigen interethnischen Begegnungen im >Chaco während seines langen Lebens beobachtet und seinem Sohn Andrés zur Niederschrift überliefert hat. Seine Sippe bewohnte die Trockenwälder im Südwesten des heutigen >Mariscal Estigarribia. Ihre Nachbarn im Westen waren die Manjuy-Indianer, mit denen sie jährlich Feste feierten; mit den Ayoreo-Nachbarn im Norden dagegen standen sie auf Kriegsfuß.
Kriegerisch wurde es für Martins Leute auch, als das bolivianische Militär Wege in den >Chaco baute und Fortines anlegte. Zwar seien die ersten Kontakte sehr freundlich gewesen, so erinnert sich Martin, wobei Geschenke und Lebensmittel an die Indianer verteilt wurden; bald kam es aber zu Übergriffen der Uniformierten, die wiederum Racheaktionen der >Nivaclé zur Folge hatten. So berichtet Martin von einer Begegnung, bei der ein Trupp Soldaten aus Übermut zehn ihrer Ziegen abgeschossen hätten, worauf die Indianer zu nächtlicher Stunde das Heereslager überfallen und zehn Soldaten getötet hätten.
Die ersten Kontakte mit den Weißen brachten für Martins Sippe auch die schwarzen Pocken. Als das große Sterben für seine Leute ausbrach, bei dem sogar die Schamanen an der Seuche starben, begab sich die Gruppe auf die Flucht. Aber wo sie auch hinkamen, alle befreundeten Lager litten an der Pockenepidemie. Viele Verwandte seien einfach krank im Busch liegen geblieben und von den Geiern gefressen worden.
In den Jahren nach dem >Chacokrieg führten Martins Wanderwege ihn östlich bis ins Gebiet der >Mennonitenkolonien. Anfänglich arbeiteten er und seine Familie zeitweilig in der Baumwollernte, um sich dann wieder in ihr Wohngebiet zurückzuziehen. Aber schon nach einigen Jahren gab es so viele Nivaclé-Familien aus den verschiedensten Chacogebieten in der Gegend von >Filadelfia, dass Martin sich entschloss, auch hier ansässig zu werden. Er nahm nun eine feste Arbeitsstelle in einer Ziegelei an. Und er wurde Christ, zugehörig zu der jungen Nivaclé-Gemeinde, die sich als Folge der mennonitischen Missionsarbeit gegründet hatte.
Martin interessierte sich für alles Neue, das er im Umgang mit den Deutschmennoniten beobachtete. Er erlernte die plattdeutsche Sprache, besuchte die Abendschule und erlernte, in immer wechselnden Arbeitsbeziehungen, viele landwirtschaftliche Fertigkeiten. Als es dann eine Gelegenheit gab, eine eigene Parzelle Land auf >Yalve Sanga zu erhalten, wurde er begeisterter Landwirt. Er pflanzte Süßkartoffeln, Bohnen, Baumwolle, Erdnüsse in genau solch geraden Reihen, wie es die Mennoniten machten, und erhoffte sich den gleichen wirtschaftlichen Erfolg.
Für seine Kinder hatte Martin Leyvi große Pläne: Sie sollten alle zur Schule gehen und Berufe erlernen. Nach der Dorfschule brachte er sie darum aufs Internat und förderte sie in der spanischen Sprache, in nationalem Wissen und in beruflichem Können. Eine Tochter wurde Krankenschwester, zwei wurden Lehrerinnen; ein Sohn wurde Verkäufer, ein anderer Radioansager. Auch die Großkinder wurden von Martin ähnlich gefördert. Er selber lernte mit allen anderen Chacobewohnern, dass die Wirtschaft am besten vielseitig gestaltet werden muss; darum erwarb er zu seinem Garten noch eine Viehweide und produzierte in den Wintermonaten Lehmziegel zum Verkauf.
Sein Leben lang unterhielt Martin Leyvi Acú einen breiten Beziehungsrahmen zu den benachbarten deutsch-mennonitischen Siedlern. Seine alten Freunde pflegte er monatlich zu besuchen. Im Rahmen der Feierlichkeiten des 75-jährigen Bestehens der >Kolonie Fernheim (2005) stand er noch in der Sporthalle von Filadelfia vor viertausend Zuschauern und erzählte durchs Mikrofon, in plattdeutscher Sprache, die hier aufgezeichnete Geschichte. Ein Jahr später starb er.
Wilmar Stahl
Centro Pedagógico Indígena (Hg.): Recuerdos de los antiguos Nivaclé del Chaco Central. Yalve Sanga, 1994; Wilmar Stahl: Culturas en Interacción Una Antropología Vivida en el Chaco Paraguayo. Asunción: El Lector, 2007.