Die Friedenslehre der Mennoniten ist eine biblische Lehre. Bei den Propheten kommt die Sehnsucht nach einem Friedensfürsten (Jesaja 9, 5), der den Menschen Shalom (Frieden) und ein Friedensreich anstelle von kriegerischen Auseinandersetzungen bringen würde, immer wieder stark zum Ausdruck. Dabei umfasst der Begriff Shalom viel mehr als frei zu sein von kriegerischen Auseinandersetzungen. Er schließt in sich ein vollkommenes Wohlbefinden nach innen und nach außen hin ein. Dieses Wohlbefinden erstreckt sich auch auf die Beziehungen zu den Nachbarvölkern und den Mitmenschen und wird im Alten Testament oft mit dem Ausdruck sicher wohnen zum Ausdruck gebracht, jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum (1. Könige 5, 4-5). Die Propheten kamen zu der Überzeugung, dass Shalom als Geschenk von Gott kommen müsse (Jesaja 26, 12; 45, 7). Diesen Frieden als Geschenk Gottes erlebt man auch inmitten der Unruhen und Wirren dieser Welt. Die Sehnsucht nach diesem Frieden hält an, und bis heute ist Shalom der übliche Gruß der Juden.
Im Neuen Testament heißt der himmlische Gruß bei der Geburt Jesu: Friede auf Erden
(Lukas 2, 14). Bevor Jesus die Erde verließ, war sein Vermächtnis an die Jünger: … meinen Frieden gebe ich euch. Ich gebe ihn euch nicht, wie die Welt ihn gibt… (Johannes 14, 27). Paulus segnet die Gemeinde: Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Gedanken bewahren in Christus Jesus (Philipper 4, 7). Die Apostel sahen es als ihren Auftrag an, das Evangelium, die gute Botschaft des Friedens, Shalom, zu verkündigen – bis an das Ende der Welt. Paulus schreibt an die Epheser: Er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart,… (Epheser 2, 17). In seinem Brief an die Römer betont Paulus, dass das Reich Gottes nicht in Essen und Trinken besteht, sondern in Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist (Römer 14, 17).
Die Verweigerung des Militär- bzw. des Kriegsdienstes stand zunächst gar nicht im Zentrum der Verkündigung der Friedenslehre. Sie wurde von den Christen vorausgesetzt und der Staat forderte den Wehrdienst von den Christen zunächst auch nicht. J. A. Toews hat in seiner Forschung festgestellt: Bis zum Jahre 174 kann man nicht von christlichen Soldaten sprechen (Toews 1964, 52; vgl. Bainton 1990, Kapitel 5, S. 69-73).
Mit Kaiser Konstantin, römischer Kaiser von 306 bis 337, änderte sich nach und nach die Haltung der Gemeinde zum Krieg. Der Kaiser verordnete Vorrechte zum Schutz der Christen. Sie durften im Römischen Reich fortan nicht mehr verfolgt werden. Der Kaiser schützte sie und erwartete, dass sich die Christen ihm gegenüber nun auch als Gegenleistung als gehorsame Untertanen erwiesen. Das ging so weit, dass der nicht getaufte Kaiser selbst in strittigen theologischen Fragen entscheidend in die Gemeinde eingriff. Infolgedessen verlor die christliche Gemeinde immer mehr ihre geistliche Vitalität, und die Verkündigung der Friedensbotschaft als Kern der biblischen Heilslehre trat in den Hintergrund.
Mit der Entstehung der Täufergemeinden ab 1525 in der Schweiz und ab 1533 in den Niederlanden wurde die Friedenslehre wieder als eine zentrale, biblische Lehre wahrgenommen. Das äußerte sich besonders stark in der Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung und der Beteiligung am Krieg. Konrad Grebel (1498 – 1526), einer der ersten energischen Täuferführer, prägte den heute bei den Mennoniten bekannten Ausspruch: Man soll auch das Evangelium und seine Anhänger nicht mit dem Schwert schirmen, und sie sollen es auch nicht selbst tun …. Auch gebrauchen sie weder weltliches Schwert noch Krieg. Denn bei ihnen ist das Töten ganz abgeschafft (Fast 1962, S. 20).
Das erste täuferische Glaubensbekenntnis von Schleitheim im Jahre 1527 legt fest, dass es keinem täuferischen Christen erlaubt sei, Gewalt anzuwenden (>Schleitheimer Bekenntnis). Das Schwert ist eine Gottesordnung außerhalb der Vollkommenheit Christi. Unter Schwert verstanden die Autoren des Bekenntnisses jegliche Art von Gewaltanwendung, und die Vollkommenheit Christi war für sie die täuferische Gemeinde (Fast 1962, 66).
>Menno Simons, der eine nachhaltige Wirkung auf die deutschen Täufer ausübte, sprach sich folgendermaßen in einem Schreiben an die weltliche Obrigkeit seiner Zeit aus: Unsere Burg ist Christus; unsere Gegenwehr Geduld; unser Schwert ist Gottes Wort, und unser Sieg ist der freimütige, feste, ungefärbte Glaube an Christum Jesu. Eisen, Metall, Spieß und Schwerter lassen wir denjenigen, die leider Menschen- und Säueblut im gleichen Wert achten (Menno Simons 1965, Teil I, S. 117).
Im Laufe der Jahre wurde jedoch die biblische Friedensbotschaft verinnerlicht und auf die Lehre von der >Wehrlosigkeit reduziert. Von einem Shalom im biblischen Sinne war kaum noch die Rede. Erst nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges hat der Begriff der Friedenslehre neue Bedeutung unter den Mennoniten weltweit gewonnen. Man fing an, nicht nur Wehrlosigkeit zu lehren, sondern eine Friedenslehre, die alle Bereiche des Lebens umfasst im Sinne des biblischen Shalom: Familie, Beziehungen in der Gemeinde und Gesellschaft, in der Geschäftswelt und als Friedensbringer in einer Welt voller Ungerechtigkeiten und Konflikte.
Den Mennoniten in Paraguay ging es bei ihrer Einwanderung zunächst um die Wahrung des Wehrlosigkeitsprinzips im engen Sinne, d. h. um die Befreiung vom Militärdienst. >Gesetz 514, von den Mennosiedlern erwirkt, sicherte allen mennonitischen jungen Männern dieses Recht zu. Doch während des Zweiten Weltkrieges wurde dieses Glaubensprinzip von den Mennoniten in >Fernheim und >Friesland stark in Frage gestellt (>Deutsch-völkische Bewegung). Gerade hier sah das >MCC eine besondere Verantwortung den Mennoniten in Paraguay gegenüber und nahm diese auch wahr. Zum ersten Mal in der Geschichte der Mennoniten war in Nordamerika 1942 ein Friedenskomitee (Peace Section) gegründet worden.
Starke Betonung fand die >Friedenslehre unter den Mennoniten in Paraguay durch die Einführung des >Christlichen Dienstes. Aus Dankbarkeit für die großzügige Aufnahme der Mennoniten in Paraguay war der Christliche Dienst entstanden. Er sollte den jungen Leuten die Gelegenheit geben, anstatt eines Militärdienstes etwas Nützliches für das Land und dessen Bevölkerung zu tun.
Gegenüber diesem Dienst haben die Mennoniten Paraguays nie Bedenken gezeigt. Durch den CD als wesentlichen Bestandteil der Wehrlosigkeitslehre fand nach und nach auch die Friedenslehre im erweiterten Sinne immer größere Akzeptanz bei den Mennoniten Paraguays. So ist die Friedenslehre in Paraguay in enger Verbindung mit dem CD gelehrt und praktiziert worden. CD war der wesentliche Ausdruck der Friedenslehre, ohne dass zunächst größerer Wert auf Friedenslehrekurse gelegt wurde (>Friedenskonferenz).
Im Laufe der Jahre im Zuge des wirtschaftlichen Fortschritts und einer strafferen Organisation des CD gewannen die Friedenslehrekurse an Bedeutung. Eine systematische Unterweisung in der Friedenslehre für die jungen Menschen wurde durch die Einführung der >Bajakurse angestrebt. Mit 18 Jahren erhalten die mennonitischen Jungen ihre Baja, d. h. den Entlassungsschein über den abgeleisteten obligatorischen Militärdienst, bei den Mennoniten das Dokument, das sie laut >Gesetz 514 von jeglichem Militärdienst befreit. Doch die jungen Männer, die diese Befreiung erhielten, konnten in den meisten Fällen selbst keine Begründung für ihre Friedenshaltung geben und teilten manchmal nicht einmal die Lehre von der Wehrlosigkeit. So einigten sich die Gemeinden in Zusammenarbeit mit den >Oberschulzen der >Kolonien (viele, oft die meisten der jungen Männer, waren mit 17 oder 18 Jahren noch keine Gemeindeglieder), obligatorische Bajakurse, so der geläufige Ausdruck, einzuführen (in den Protokollen der Gemeinden jedoch meist als Friedenslehrekurse bezeichnet). Jeder Jüngling war nun gezwungen, daran teilzunehmen, wollte er den legalen Ausweis für die Befreiung vom Militärdienst erhalten.
Der erste Kursus dieser Art wurde vom 12. bis 16. August 1968 auf der Versuchsstation in >Fernheim mit 41 jungen Männern durchgeführt. Das erste Experiment war ein voller Erfolg, und der Bajakursus ist dann in den folgenden Jahren in ähnlicher Weise in den meisten mennonitischen Kolonien durchgeführt worden.
Eine sorgfältige Auswertung der Bajakurse durch die Leiter der Tagungen zeigt jedoch, dass die Kurse in einem Spannungsfeld durchgeführt werden – einer Spannung zwischen dem, was die Friedenslehre vom idealen biblisch-täuferischen Standpunkt sein sollte und der Realität der Mennoniten als einer Mischung zwischen Gemeinde und Volksmennonitentum. Aus dieser Sicht bricht immer wieder die Kritik gegen die mennonitischen Privilegien (>Gesetz 514) auf, die auf der einen Seite grundlegende mennonitische Prinzipien gegenüber Ansprüchen des Staates absichern will, die auf der anderen Seite aber mit dem Wesen des neutestamentlichen Christentums nicht in Einklang zu stehen scheinen. Es ist ermutigend zu sehen, dass diese Fragen dem Friedens- und Gemeindekomitee nicht gleichgültig sind. Ständig ist man bemüht gewesen, in Fragen der Wehrlosigkeit und Friedenslehre nicht nur Prinzipientreue, sondern Bibeltreue zu praktizieren. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass man seit der Einführung der Friedenslehrekurse auch immer ernsthaft bemüht war, die Friedenslehre in die Gemeinden selbst zu tragen. Die Friedenslehre muss im Heim, in der Gemeinde, in der Schule und in der Gesellschaft praktiziert werden, sonst verfehlen die Bajakurse ihr Ziel, wird betont. Auch Mädchen und Erwachsenen müsse man Unterricht in der Friedenslehre geben. An der Durchführung solcher Programme sollten sich die Gemeinden und die Schulen in harmonischer Zusammenarbeit beteiligen.
Um den CD und die Friedenslehre stärker zu fördern, wurde 1973 Ernst Weichselberger als Förderer für Christliche Dienste und Friedenslehre vollzeitig angestellt. Weichselberger hat sich dann auch stark für die Förderung der Friedenslehre in den Gemeinden eingesetzt. Mehrmals wurden >Friedenskonferenzen für Lehrer und Prediger durchgeführt, die dann ihrerseits in den Gemeinden und Schulen den Friedensgedanken fördern sollten.
Gerhard Ratzlaff
Roland H. Bainton: Christian Attitudes Toward War and Peace. 17. Auflage. Nashville: Abingdon Press, 1990; Heinold Fast: Der linke Flügel der Reformation. Bremen: Carl Schünemann Verlag, 1962; Stichwort Friedensbewegung in: Christian Hege u. Christian Neff (Hg.): Mennonitisches Lexikon. Weierhof [Selbstverlag] 1913, Band I, 706-713 und Stichwort Wehrlosigkeit in Band IV, 480-484; Gerhard Ratzlaff: Ein Leib – viele Glieder. Die mennonitischen Gemeinden in Paraguay. Hg. Gemeindekomitee. Asunción: Makrografic, 2001, S. 257-264; John A. Toews: Wehrlos durch Christus. Basel: Agape Verlag, 1964.