Deutsch-völkische Bewegung

Als Adolf Hitler 1933 in Deutschland an die Macht kam, war man in >Fernheim erfreut und voller Hoffnung, dass mit ihm endlich ein Mann die Regierung übernommen hatte, der Sowjetrussland Paroli bieten würde. Die Koloniegemeinschaft sandte am 18. Mai 1933 ein Sympathieschreiben an die deutsche Regierung, in dem sie zum Ausdruck brachte, dass sie das Eintreten der Regierung für den Schutz der Familie und für die Bekämpfung des Kommunismus begrüße. Eine Erdnusssendung wurde an prominente Persönlichkeiten der neuen Regierung geschickt, und über den Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) kamen Bücher und Zeitschriften in die >Kolonie. Die eigene wirtschaftliche Not und die Zustimmung von anerkannten mennonitischen Persönlichkeiten in Deutschland zur nationalsozialistischen Regierung erleichterten in Fernheim die Ausrichtung auf das Deutsche Reich.
Der deutschmennonitische Jugendbund sowie der >Bund Deutscher Mennoniten in Paraguay wurden gegründet. Die deutsche Einbürgerung der Fernheimer Bürger wurde angestrebt und der Anschluss an den Deutschen Volksbund in Paraguay diskutiert. An der Frage der Einbürgerung schieden sich bereits die Geister, denn mit der Einbürgerung und eventuellen Heimkehr ins Reich hätte man das Prinzip der >Wehrlosigkeit aufgeben müssen. Es bildeten sich sehr bald zwei Gruppierungen, die sich in Gemeinden und Kolonie gegenüber standen. Diejenigen, die sich mit allen Konsequenzen zu Deutschland bekannten, nannte man die “deutsch-völkische Bewegung” und diejenigen, die an der Wehrlosigkeit festhielten und ihren Missionsauftrag für Paraguay nicht in Frage stellten, wurden “Wehrlose” genannt. Zur zweiten Gruppe gehörten vor allem die Mitglieder der EMB-Gemeinde.
Als Dr. Fritz >Kliewer 1939 nach Fernheim zurückkehrte, verschärften sich die Fronten in der Kolonie sehr bald, denn Kliewer war bestrebt, die Jugend, die Lehrer und auch die Koloniebürger auf die Rückkehr nach Deutschland vorzubereiten. Das bedeutete in der damaligen Zeit, sich mit dem nationalsozialistischen Gedankengut vertraut zu machen. Dem widersetzten sich aber einige Prediger und Eltern sowie vor allem auch die Vertreter des >MCC.
Die Lage verschärfte sich, als sich eine kleine Gruppe von der Hauptgruppe der deutsch-völkischen Bewegung abspaltete und zusammen mit der Gruppe der “Wehrlosen” und anderen Oppositionellen gemeinsame Sache machte, um Kliewer und Julius >Legiehn, der damals >Oberschulze war, aus ihren Ämtern zu verdrängen. Am >elften März 1944 kam es zum Eklat, als die beiden Gruppierungen gewaltsam gegeneinander vorgingen. Dr. Gerhard Klassen, der damals im Auftrag des MCC in Fernheim als Zahnarzt arbeitete, rief schließlich das paraguayische Militär zu Hilfe, um ein drohendes Blutvergießen zu verhindern.
Schließlich wurden Kliewer und Legiehn auf Druck der amerikanischen Botschaft aus der Kolonie Fernheim verwiesen und in die Verbannung nach Ostparaguay geschickt. Legiehn kehrte später für einige Jahre nach Fernheim zurück, Kliewer blieb nach Aufhebung der Verbannung zunächst in Asunción und ging dann mit seiner Familie nach Witmarsum, Brasilien.
Diese Auseinandersetzung hat in Fernheim tiefe Spuren hinterlassen, da sie nie gründlich aufgearbeitet worden ist. B. B. >Janz, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Fernheim kam, um die feindlichen Gruppierungen miteinander zu versöhnen, trug dazu bei, dass die gespaltene Mennoniten Brüdergemeinde wieder vereinigt wurde und dass manche persönlichen Feindseligkeiten überwunden werden konnten. Da die Mennoniten über keine Konfliktlösungsstrategien verfügten und politische Aktivitäten von vornherein abgelehnt wurden, war es auch schwer, die tiefen Verletzungen auf beiden Seiten zu heilen. Seither ist man in Fernheim darauf bedacht, möglichst keine widerstreitenden Gruppierungen aufkommen zu lassen, was aber der angestrebten Demokratisierung nicht immer dienlich ist.
Jakob Warkentin
Peter P. Klassen: Die deutsch-völkische Zeit in der Kolonie Fernheim, Chaco-Paraguay (1933 – 1945). Bolanden-Weierhof: Mennonitischer Geschichtsverein e.V., 1990; Heinrich Dürksen: Daß du nicht vergessest der Geschichten. Lebenserinnerungen von Heinrich Dürksen. 3. unveränderte Auflage. Asunción: Cromos, 1997; John D. Thiesen: Mennonite and Nazi. Attitudes among Mennonite Colonies in Latin America, 1933 – 1945, Wichita, 1998.