Filadelfia

Filadelfia (gr. Bruderliebe) wurde am 17. August 1931 als Zentrum der >Kolonie >Fernheim im zentralen >Chaco gegründet. Oberschulze David Löwen, der als Gründer angesehen werden kann, folgte mit einigen Siedlern aus dem Dorf Gnadenheim einem schmalen Indianerpfad, der sie auf den >Kamp führte, den man als geeigneten Platz für den Aufbau des Dampfkessels, der Sägemühle, des Konsumladens und des Krankenhauses bestimmte. Der erste Brunnen, der auf dem nördlichen Hochkamp gegraben wurde, hatte salziges Wasser. Doch der Brunnen auf dem südlichen Tiefkamp lieferte süßes Wasser.
Die ersten Gebäude: Industriewerk 1931, Krankenhaus und erste Kooperative 1932, Koloniehaus 1933.
In einem verlassenen Militärrancho begann 1934 der erste Unterricht mit 14 Volksschülern. Die >Zentralschule, die in den ersten Jahren in Schönwiese geführt wurde, kam 1936 nach Filadelfia. (gegenwärtiges Schulmuseum).
Anfang 1935 wohnten in Filadelfia 22 Familien mit insgesamt 74 Personen. Heinrich Rempel wurde zum Schulzen gewählt. Bis 2008 hat Filadelfia 23 Schulzen gehabt, die gemeinsam mit dem Stadtrat die Belange der Bewohner organisierten und verwalteten.
Das südwestliche Viertel steht seit Beginn der Kolonie der Kooperative zur Verfügung und ist mit den Jahren entsprechend ausgebaut worden. Die nördlichen und östlichen Teile gelten als Wohngebiete. Straßen in einer Breite von 20 bis 25m und geräumige Grundstücksblocks (Cuadras) von 200 mal 375 m bieten geeignete Verkehrs- und Wohnmöglichkeiten. Während in den ersten Jahren aus Mangel an Blech für die Dächer oft zweistöckig gebaut wurde, entstanden in den vierziger und fünfziger Jahren einstöckige Bauten, oft mit kunstvoll verzierten Giebeln und Fenstern.
Schnell entwickelte sich Filadelfia zum wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Zentrum. Neben dem ersten Kooperativgebäude wurde der zweite Verkaufsladen eingerichtet, der in den sechziger Jahren abgerissen wurde, um dem dritten Handelssalon Raum zu geben. Im Jahre 1989 wurde der Supermarkt im Zentrum und 2002 “Shopping Kleefeld” im Osten der Stadt von der Kooperative in Betrieb genommen.
Anfang der vierziger Jahre wurde die Primarschule an der Kreuzung der Hauptstraßen aufgebaut, die Zentralschule ausgebaut und in den sechziger Jahren das Knabenheim mit der Aula aufgeführt. Im Laufe der Zeit kamen auch mehrere interkoloniale Einrichtungen dazu wie z. B. >Sanatorio Eirene, das >Institut für Lehrerbildung, >Radio ZP-30 und andere.
Die Gemeinden bauten in Filadelfia ihre Gotteshäuser: Die >Mennonitengemeinde 1948, die Mennoniten Brüdergemeinde 1953, die Evangelisch Mennonitische Bruderschaft 1963, die Filadelfia Ost-MBG 1990 u. a. Auch entstanden zahlreiche Missionsgemeinden unter Indianern und für die zugezogenen spanisch und portugiesisch sprechenden Bewohner.
Sowohl Filadelfia als Stadt wie auch >Menno, >Fernheim und >Neuland als Kolonien entwickelten sich in den ersten Jahrzehnten ohne jeglichen Einfluss des paraguayischen Staates. Seit der Gründung ist Filadelfia jedoch das politische Zentrum der Kolonie Fernheim gewesen. Hier hatte die Kolonieverwaltung ihren Sitz, hier wurde hoher Besuch empfangen wie zum Beispiel Generäle im >Chacokrieg und Vertreter des >MCC, hier fanden die drei großen Jubiläumsfeiern Fernheims statt und zunehmend kamen auch staatliche Institutionen hinzu, die hier eingerichtet wurden.
Seit Anfang der siebziger Jahre existiert ein ständiges Büro der UNO, die hier mit dem Projekt “Agua para el Chaco” die Möglichkeiten der Wasserversorgung untersuchen. Seit April 1984 gibt es die staatliche Kommunikationsbehörde ANTELCO bzw. COPACO, die ein Telefonnetz in Filadelfia aufgebaut hat und die telefonische Verbindung mit dem In- und Ausland ermöglicht. Die staatliche Stromverwaltung ANDE liefert seit 1998 Strom vom Kraftwerk Itaipú und löste den Dampfkessel ab, der seit Beginn Strom erzeugt hatte. Im Jahr 1993 ist Filadelfia zur Hauptstadt des Departaments Boquerón bestimmt worden und somit Sitz der Gobernación, der staatlichen Verwaltung des Departaments, mit allen ihren Abteilungen. Seit 2006 ist Filadelfia eine eigenständige Gemeinde (Munizipalität) geworden mit einem eigenen Bürgermeister (Intendente). – Zahlreiche weitere staatliche Angestellte und Institutionen haben hier ihren Sitz, z. B. Richter, eine Fiscalía (Staatsanwaltschaft), das nationale Fürsorgeinstitut IPS und andere.
Filadelfia kann man leicht in mindestens sechs verschiedene Stadtviertel, die z. T. von recht unterschiedlichen Volksgruppen bewohnt werden, einteilen: a) Der vom (mennonitischen) Stadtamt verwaltete Bezirk (Spanisch: Zona Urbana = Wohnzone): Hier wohnen vor allem die Nachkommen der Deutsch sprechenden Einwanderer mennonitischen Glaubens. Die breiten, geraden Straßen mit Namen aus der Siedlungsgeschichte, der Natur oder dem >Chacokrieg liegen zwischen den großen Grundstücksblocks mit recht großen Hofstellen (50 mal 50 m). Dieser Bezirk ist in drei Gebiete eingeteilt, für die jeweils eigene Regeln bestehen: Das Wohngebiet, das Handelsgebiet und das Industriegebiet. Das Denkmal an der Kreuzung Hindenburg- /Trébol-Straße mit den drei Säulen: Glaube, Eintracht, Arbeit gilt nicht nur als Zentrum dieses Bezirks, sondern allgemein als Zentrum von Filadelfia. b) Die Lengua-Siedlung Barrio Cacique Majito: Da das Land, auf dem die deutschstämmigen Siedler ihre >Kolonien angelegt hatten, zum Wohngebiet der Lenguas gehörte, hat dieser Volksstamm ein eigenes Dorf im Südosten Filadelfias angelegt. Hier haben die Lenguas neben ihren Häusern ihre Kirche, ihre Schule und einen größeren Platz für sportliche Aktivitäten. c) Villa Guaraní: Im Südwesten von Filadelfia liegt das Dorf der Guarayos. Viele Guarayos sind freie Unternehmer, arbeiten in der Baubranche oder sind Arbeiter in den privaten oder genossenschaftlichen Betrieben. d) Uj’he Llavôs, das Dorf der Nivaclé, wurde 1999 im äußersten Südwesten Filadelfias angelegt. Die >Nivaclé (Chulupí), die bisher in der so genannten “Mission” südlich des Industriewerkes ihr Wohngebiet hatten, leben jetzt in ihrer eigenen Siedlung. Neben den vielen solide gebauten Häusern stehen die geräumige Schule, ein großer überdachter Platz (tinglado) für sportliche Veranstaltungen, zwei Kirchen und ein Gemeinschaftssaal. e) Villa Dollinger: Für Lateinparaguayer und besonders für die Angestellten des öffentlichen Sektors wurde 1996 der Stadtteil “Villa Dollinger” angelegt. Den Namen erhielt diese Siedlung nach dem deutschen Arzt Gerhard >Dollinger, der in den fünfziger und sechziger Jahren im Hospital Filadelfia tätig war und dort seinen viehwirtschaftlichen Betrieb hatte. f) Barrio Amistad: 1999 wurde im Südosten Filadelfias ein weiteres Stadtviertel für zugewanderte Paraguayer und Brasilianer angelegt. In diesem Stadtteil lebt eine Vielzahl verschiedener Volksgruppen, die, weil sie im Frieden miteinander leben wollen, ihrer Siedlung den Namen “Amistad” = Freundschaft gegeben haben.
Wirtschaftlich und politisch spielt Filadelfia eine bedeutende Rolle in der Entwicklung des zentralen Chaco. Es wird jedoch viel Feingefühl und Weisheit brauchen, damit sich dieser Ort, dessen Name Filadelfia “Bruderliebe” bedeutet, auf die Länge zu einem wirklichen Platz des interethnischen Zusammenlebens entwickeln kann.
Korny Neufeld
Unsere Stadt Filadelfia, 2005 vom Stadtamt herausgegeben.