Ratzlaff, Abram

Abram Ratzlaff (1904 – 1981) wurde am 3. Oktober 1904 (>Alter Stil) in der Pachtkolonie Trubetskoje im Gouvernement Cherson geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, hatte jedoch das Vorrecht, die siebenjährige Volksschule und die Zentralschule zu besuchen, nachdem er mit seiner Familie 1904 nach Alexanderkrone in Westsibirien umgezogen war. 1920 starb sein Vater und er musste die Schule verlassen, um als ältester Sohn die Wirtschaft zu führen.1922 heiratete seine Mutter David Friesen, der sieben Kinder in die Ehe brachte, so dass sie gemeinsam nun eine Großfamilie mit 12 Kindern bildeten.
Nachdem er 1927 mit der Familie in das Amurgebiet gezogen war, gelang Abram Ratzlaff 1930 zusammen mit dem ganzen Dorf Schumanowka die Flucht über den zugefrorenen Amur nach China (>Flucht über den Amur). In Harbin heiratete er Anna Epp und ließ sich taufen. Nach manchen Widerwärtigkeiten gelangte er mit den übrigen Flüchtlingen des Dorfes Schumanowka über Frankreich nach Paraguay, wo er 1932 zu den Mitbegründern des Dorfes Karlsruhe in der >Kolonie >Fernheim gehörte.
Die Ansiedlungsjahre waren hart und schwer. Eine Unterkunft musste gebaut, primitive Möbel hergestellt und provisorische Zäune gezogen werden. Ochsen waren zu zähmen und Kühe zu melken. Doch die Angst vor Gewalt und Verbannung war gewichen, und der >Chacokrieg ermöglichte nach dem Sieg der Paraguayer sogar einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung.
Im Jahr 1935 wurden Abram und Anna Ratzlaff vom Missionskomitee >“Licht den Indianern” in die Missionsarbeit gerufen und zusammen mit Abram Unger und vielen freiwilligen Helfern bauten sie in der Nähe des Dorfes Friedensruh die erste Missionsstation auf, die aber nach kurzer Zeit in die Gegend von >Yalve Sanga verlegt werden musste. Geldmangel, Krankheit, geringe Ernteerträge und geringe Kenntnisse über die indianische Kultur erschwerten die Arbeit erheblich, die nur im Vertrauen auf Gott und mit dem Einsatz aller Kräfte fortgesetzt werden konnte. In der Folgezeit kam es zu Spannungen unter den Missionsarbeitern, die dazu führten, dass Abram Ratzlaff sich mit seiner Familie aus dieser Arbeit zurückzog und 1941 mittellos, wie er war, auf einem entlegenen Kamp mit seiner Familie einen wirtschaftlichen Neuanfang versuchte.
Das war gar nicht so einfach, denn da das Land außerhalb der Kolonie Fernheim lag, besaß er kein Bürgerrecht und konnte daher auch nicht die Rechte eines Koloniebürgers genießen. Als die Kinder schulpflichtig wurden, kauften sie in Filadelfia ein Haus und gewannen damit wieder das volle Bürgerrecht. Zusammen mit seinem Bruder Bernhard und mit Hilfe der Indianer wurde das Land urbar gemacht, Zäune wurden gezogen und eine Acker- und Viehwirtschaft aufgebaut. Ihre Lage auf dem >Kamp änderte sich plötzlich, als 1947 die Neuländer in den >Chaco kamen und in ihrer Nähe das Dorf Einlage gegründet wurde.
Auf diese Weise wurde Abram Ratzlaff Neuländer Bürger. Er half den vielen >Flüchtlingen, die sich erst mit dem Chaco vertraut machen mussten, mit Rat und Tat. Abram Ratzlaff wirkte mit in der Gemeinde und in der Kolonie. Er wurde als >Prediger ordiniert und gehörte als Vertreter der MBG dem Kolonieschulrat an.
Im Jahr 1969 wanderten Anna und Abram Ratzlaff auf Anraten der Ärzte und auf Bitten ihrer Kinder nach Kanada aus. Dort lebten und arbeiteten sie zunächst in Vancouver und dann in Clearbrook, wo Abram Ratzlaff 1981 verstarb.
Wer Abram Ratzlaff persönlich gekannt hat, weiß, dass er ein Mann voller Ideen war, der aber bescheiden blieb, hilfsbereit und friedliebend war und sich nie in den Mittelpunkt stellte. Er diente seinem Gott und seinen Mitmenschen mit den Gaben, die ihm zur Verfügung standen, wobei ihm seine Frau Anna treu zur Seite stand.
Jakob Warkentin
Gerhard Ratzlaff: Vater Abram: Von der Ukraine über Sibirien und China nach Paraguay und Kanada. Eine mennonitische Lebensgeschichte. Ratzlaff [Selbstverlag], Asunción, Paraguay, 2004.