Enlhet

Territorium und Nachbarn
Die Enlhet (früher Nord-Lengua) gehören zur Sprach-Familie Enlhet-Enenlhet (früher Mascoy oder Lengua-Mascoy), zusammen mit den Énxet (früher Süd-Lengua), den Angaité, den Sanapaná, den Guaná und den Toba-Enenlhet (vgl. die ausführliche Bibliographie in Fabre, 2005). Mit seinen gut 7.000 Gliedern ist das Volk der Enlhet das größte innerhalb der Familie. Sein Territorium erstreckt sich im Süden von der Region um Nanawa (Nanaava’a) bis in die Gegend nördlich von Faro Moro (Namaalhek). Im Westen reicht das Territorium der Enlhet bis auf die Höhe von Laguna Negra (Meyva-Saanga), im Osten bis jenseits von >Hoffnungsfeld (bis Yelhnaklha-Pa’at). Damit liegt es fast vollständig im Gebiet der heutigen >Mennonitenkolonien im paraguayischen >Chaco.
Die Nachbarn im Osten sind die genannten Enlhet-Enenlhet Völker, die dem Enlhet verwandte Sprachen sprechen (Unruh & Kalisch, 2003) und zu denen kontinuierliche Kontakte bestanden. Die westlichen Nachbarn sind die >Nivaclé, mit denen die Enlhet einen Streifen von Norden nach Süden gemeinsam bewohnten. Das gemeinsame Leben führte zu umfassenden verwandtschaftlichen Beziehungen und einer ausgeprägten Zweisprachigkeit in dieser Region, die jedoch mit der Fremdbesiedlung des Chaco zu einem Ende kam. Für die südlichen Nachbarn, die Macá, gilt das Entsprechende. Das Verhältnis zu den nördlichen Nachbarn, den >Ayoreo (und auch den Chamacoco), war dagegen angespannt. Diese Spannungen standen im Zusammenhang mit dem Druck, dem die Ayoreo ihrerseits durch die nach Süden vorrückende Kolonialisierungsgrenze in Bolivien ausgesetzt waren. In Folge von kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Enlhet drängten sie diese in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis auf die Gegend nördlich von Teniente Montanía (Apva’at) zurück.
Eigenständiges Leben
Die Enlhet lebten als Gruppen, oft auf Sippenebene, in fest definierten Räumen. Ausgehend von einem Hauptort bewegten sie sich innerhalb ihrer Heimaträume zyklisch, indem sie der Reifezeit verschiedener Früchte, dem Auftreten von Wildtieren und der Wasserlage an ihren Wasserstellen folgten. Im Süden und im Osten, wo es große Lagunen gibt, trug der Fischfang einen wichtigen Teil zum Lebensunterhalt bei. Auch der Feldbau nimmt in den Berichten der Enlhet eine bedeutende Stelle ein; der Ertrag des Feldes war zusammen mit ihren Schaf- und Ziegenherden eine wesentliche Voraussetzung für die Gestaltung ihrer großen Feste. Zudem verfügten die Enlhet über Techniken der Vorratshaltung, mit denen sie jahreszeitlich bedingten Engpässen in der Versorgung mit Nahrungsmitteln vorbeugten. Die trockenen Wintermonate beschränkten zwar die Vielfalt, brachten jedoch keine absolute Verknappung an Nahrungsmitteln. Grundsätzlich stimmen die Zeitzeugen daher darin überein, dass die Enlhet keinen Mangel litten (Unruh & Kalisch, in Vorbereitung). Neuere Forschungen bestätigen zudem, dass die Artenvielfalt des Chaco der des amazonischen Regenwalds nicht nachsteht (Leake, 1998: 42ff).
Die Enlhet hatten umfassende Kenntnisse darin entwickelt, wie sie die verfügbaren Materialien so einsetzten, dass sie ihre Umwelt auch ohne großen technischen Aufwand optimal nutzen konnten. Sie stellten alle benötigten Werkzeuge und Hilfsmittel selbst her und waren unabhängig von Gebrauchsgegenständen, die von außerhalb des Chaco kamen. Die Zeitzeugen nennen sie daher “das Volk ohne Sachen” (Kidd, 1999: 44) und legen doch gleichzeitig Wert darauf, dass sie alles hatten, was sie benötigten. Für die Enlhet war es kein erstrebenswertes Ziel, dass sie aufwendige Infrastruktur anlegten und materielle Wertgegenstände schufen und ansammelten. Sie betonten vielmehr die Gestaltung eines Zusammenlebens im Gleichgewicht, die sie mit nengelaasekhammalhkoo bezeichnen, einander wohl gesonnen sein; sich gegenseitig ernst nehmen (Kalisch, in Druck); in den Erhalt des Gleichgewichts investierten sie viel Zeit und Mühe. Ihre Gesinnung zur Beziehung (Kalisch, 2005) zeichnet sich durch eine auffällige Offenheit gegenüber dem Nächsten aus, die sich mit einem klaren Bewusstsein um den Wert der persönlichen Freiheit verbindet.
Die politische Führung beruhte auf der persönlichen Autorität der leitenden Personen, die diesen aus einem herausragenden Umgang mit jenen Eigenschaften, Einstellungen und Fähigkeiten erwuchs, welche den Enlhet von Bedeutung waren; dazu gehörte etwa die Fähigkeit zur Gestaltung des Gleichgewichts innerhalb der zwischenmenschlichen Welt und in Hinsicht auf die Welt jenseits des Menschen. Der Auftrag zur Führung war somit nicht formal legitimiert und verlangte daher weder institutionalisierte Loyalitäten noch ermöglichte er markante Machtausübung. Dementsprechend gab es keine festen politischen Einheiten über die Gruppen der einzelnen Heimaträume hinaus. Stattdessen gestalteten diese Gruppen das Zusammenleben, indem sie ständigen Kontakt zueinander hielten. Ehepartner, beispielsweise, stammten oft aus entfernteren Gegenden; die gegenseitigen Familienbesuche und die damit verbundenen Reisen bildeten einen wesentlichen Teil des Enlhet-Lebens. Ein weiterer prägender Faktor des gemeinsamen Lebens waren die vielfältigen Feste, zu denen die Leute aus einem Umkreis von 50 km und mehr eingeladen wurden und die mehrere Tage oder sogar Wochen andauerten. Das größte Fest war Yaanmaan, jenes Fest, das auf die erste Menstruation eines Mädchens folgte.
Die Feste der Enlhet stellten eine Ritualisierung des nengelaasekhammalhkoo dar, der Gestaltung des Gleichgewichts, und hatten somit vielseitige Funktionen. Angeglichen an den Rhythmus der Jahreszeiten begleiteten sie die Abschnitte des Lebens einer Person. Sie gestalteten das Zusammenleben in der Gruppe, zwischen den Gruppen und mit den Nachbarvölkern. Ganz wesentlich formten die Feste zudem die Beziehung zu jener Welt außerhalb dessen, was dem Menschen unmittelbar einsichtig ist. Sie drückten die Überzeugung aus, dass es nötig ist, gleichzeitig sowohl den menschlichen Nächsten als auch jene andere Welt ernst zu nehmen, damit das Gleichgewicht des Lebens gewahrt werden kann. Das konkrete Bewusstsein für die wirkenden Kräfte jener Welt war eine wichtig Motivation dafür, dass die Enlhet das Zusammenleben pflegten, denn ein harmonisches Zusammenleben hielt Bedrohungen in Grenzen, die von diesen Kräften ausgehen konnten.
In besonderer Weise wurde das Bestreben, dass man die Beziehung zu jener anderen Welt gestaltete, durch solche Leute repräsentiert, die herausragende Fähigkeiten im Umgang mit ihr erworben hatten, die ‚Alten mit Können’. Zwar waren diese Alten mit Können den Gefahren der Welt jenseits des Menschen verstärkt ausgesetzt und konnten somit zum Einfallstor jener Bedrohung werden, die dem Menschen durch die Begegnung mit ihr erwächst. Gleichzeitig jedoch waren sie es, die Heilung brachten und Schutz vor Schlimmem gewährten; sie schufen somit einen Raum der Geborgenheit. Ganz grundsätzlich sprechen die Berichte der Enlhet daher von Vertrautheit, von Fröhlichkeit, von einem Leben, das Freude brachte. Dieses Leben, auf das Gleichgewicht ausgerichtet, war gestaltete Harmonie.
Fremdbesiedlung des Chaco
Schon vor dem >Chacokrieg (1932 – 1935) machten vor allem die östlichen Enlhet Reisen zu den Tanninfabriken am Río Paraguay (nach Puerto Sastre und Puerto Pinasco), um dort Arbeitskraft gegen Gebrauchsgegenstände einzutauschen. Die Bewegungen um diese Tanninfabriken herum, die seit 1887 gegründet wurden, begannen schnell, das Leben der Völker am Fluss zu verändern. 1889 hatte auch die >anglikanische Mission ihre Tätigkeit unter den verwandten Énxet im Südosten begonnen. Dennoch drangen bis Ende des zweiten Jahrzehnts des zwanzigsten Jahrhunderts kaum Menschen paraguayischer oder europäischer Abkunft in das Land der Enlhet ein. Erst 1920 kam die Erkundungsexpedition um Fred >Engen im Auftrag kanadischer Mennoniten, die deren Ansiedlung ab 1927 einleitete. Ab Mitte der zwanziger Jahre wurden auch die Erkundungsaktivitäten des paraguayischen und des bolivianischen Heeres intensiver und es kam zu den Gründungen von >Fortines (militärischen Stützpunkten) entlang der späteren Frontlinie mitten im Land der Enlhet (etwa Toledo, Trébol, >Isla Poí, >Boquerón, Arce, Nanawa). Die militärischen Erkundungstrupps waren zwar auf die Ortskenntnis der indianischen Bewohner des Gebiets angewiesen, dennoch fanden schon vor dem Krieg Vergewaltigungen von Frauen und Morde an Männern statt (Unruh & Kalisch, 2008). In diesem Klima zunehmender Gewalt treffen die beiden ersten mennonitischen Siedlergruppen ein: die Gründer der >Kolonien >Menno (1927) und >Fernheim (1930).
Während des Krieges selbst erhöht sich die Gewalt gegen die Enlhet deutlich (Klassen, 1974) und die Enlhet ziehen sich auf abgelegene Stellen zurück. Aus der Furcht davor, entdeckt zu werden, bewegen sie sich wenig und vermögen sich nur eingeschränkt der Nahrungsbeschaffung zu widmen. Die Folge ist Hunger (Unruh & Kalisch, in Vorbereitung). Unmittelbar nach dem Krieg treten Krankheitsepidemien auf, ausgelöst durch neue Erreger, die über die Fremden zu den Enlhet gelangten. Man schätzt, dass diesen Epidemien zwei Drittel der indianischen Bevölkerung im Chaco zum Opfer fiel.
Durch Krieg und Epidemien mit vielen Toten, durch Todesbedrohung, Unsicherheit und Flucht ist das Leben der Enlhet in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre aufgewühlt und sie trauen sich nur zögernd in ihre Heimatgegenden zurück. Ein bedeutender Teil ihres Landes ist inzwischen allerdings fest von den mennonitischen Einwanderern besetzt. Da die Ankömmlinge aber keine direkte physische Gewalt gegen die einheimische indianische Bevölkerung ausüben, erscheint ihre Anwesenheit den Enlhet eine erträglichere Option zu sein als die der Soldaten. Aus diesem Grund kommt es nie zu einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass die Enlhet durch die Neuankömmlinge ihres Lands beraubt wurden (Kalisch, 2003).
In jenen Gegenden des Enlhet-Lands, die noch nicht mennonitisch besiedelt sind (>Neuland, >Südmenno), normalisiert sich das Leben nach dem Krieg langsam wieder. Mit der Ankunft von Siedlergruppen in diesen Regionen (Neuland 1947; Südmenno 1948) gleicht sich deren Geschichte jedoch schnell an die der bereits mennonitisch besiedelten Gegenden an. Auch hier schränkt die Fremdbesiedlung den Bewegungsraum und die Lebensgrundlage der Enlhet-Gruppen in kurzer Zeit grundsätzlich ein. Wie schon für die Ortswahl der militärischen Stützpunkte ist auch für die Anlage der Siedlerdörfer die Wasserfrage zentral. Angesichts der Wasserknappheit des Chaco in den Wintermonaten können die Enlhet ihr eigenständiges Leben auf den reduzierten Räumen nicht mehr gestalten und es bleibt ihnen somit keine wirkliche Alternative zum Leben um die neuen Siedlungen herum (Unruh & Kalisch, in Vorbereitung). Der Verlust ihrer Lebensgrundlage führt in einem Zeitraum von etwa zwanzig Jahren zu einer geographischen Umorientierung (Regehr, 1979), in deren Verlauf sie sich immer stärker auf die Zentren >Filadelfia und >Loma Plata, und dann auf die Missionssiedlung Ya’alve-Saanga ausrichten.
Die intensiven Missionsbemühungen der Einwanderer haben die Enlhet davon überzeugt, dass die Missionsstation, die Mesyon, jener Raum ist, den die Einwanderer für ihre Begegnung mit den Enlhet vorgesehen haben, und dass deshalb in Zukunft nur dort das Leben gestaltet werden kann. Als die Enlhet daher akzeptieren, dass sie ihre eigene Lebensweise nicht mehr weiterführen können und auf eine Zuwendung zum Modell der Einwanderer setzen, findet diese folgerichtig ihren Ausdruck in einer umfassenden Annahme der Taufe. Die Massentaufen Ende der fünfziger Jahre und der Wunsch, auf der Missionsstation angesiedelt zu werden (Loewen, 1965; 1966), sind somit beide Ausdruck für die Erkenntnis, dass nun eine neue Zeit angebrochen ist, in der das Eigene nicht mehr gilt, sondern die Logik der Angekommenen, die Logik der Mesyon.
Aus der Sicht der Einwanderer
Die Einwanderer hatten von Anfang an Kontakt mit den einheimischen Enlhet; das Siedlungsunternehmen wäre ohne deren Arbeitskraft nicht möglich gewesen (Giesbrecht, 1956: 66; Klassen, 1991: 297 ff.; Löwen, 1994). Dennoch empfanden sie, dass sie in eine unberührte Wildnis gekommen seien (Dürksen, 1990: 99). Ohne dass sie die Enlhet in einem Dialog kennen gelernt hätten, verfestigte sich schnell ein Bild über sie, das von negativen Kategorien bestimmt ist. Es heißt, die Enlhet führten ein kärgliches Dasein und hungerten viel (Giesbrecht, 1956: 66; Wiens 1989: 28, 96). Man sagt, sie lebten in einem “indianischen Weltkrieg” (Stahl, 1982: 10), in einem “Kampf aller gegen alle” (Klassen, 1983: 135) und seien vom Aussterben bedroht (Siemens, 1943). Es ist die Rede von armen Wilden (Siemens, 1943), von armen, umnachteten Lengua (Epp, 1939) mit verfinstertem Herz (Giesbrecht, 1956: 66), die in Unsicherheit und ständiger Furcht vor der Macht der bösen Geister lebten (Friesen, 1977: 130). Die Enlhet, heißt es, lebten in “einer statischen Kultur…, die den primitivsten menschlichen Bedürfnissen genügte und sich damit begnügte” (Klassen, 1983: 127).
Dieser negative Eindruck widerspricht nicht nur dem, was die Enlhet von ihrer Geschichte berichten und wie sie sich selbst beschreiben. Er passt auch nicht zu der ausgeprägten Fröhlichkeit und Güte, die bis heute ein markantes Kennzeichen aller Chacovölker ist. Dennoch führen derartige Kategorien dazu, dass die Bewegung der Enlhet hin zu den neuen mennonitischen Zentren nicht als Folge eines Verdrängungsprozesses und der verlorenen Lebensgrundlage verstanden wird, sondern vielmehr als die Absicht, einen besseren Lebensstandard zu erlangen (Klassen, 1983; 1991). Gleichzeitig wird jegliche Veränderung, die das Leben der Enlhet betrifft, als Rettung aus ihrer grundlegenden Verlorenheit in allen Lebensbereichen gelesen und somit grundsätzlich als Veränderung zum Besseren.
Diese Lesart ist eng mit der Missionsarbeit unter den Enlhet verbunden, denn neben den Arbeitsverhältnissen war es das Missionsunternehmen, das von Anfang an das Verhältnis der Einwanderer zu den einheimischen Enlhet bestimmte. Die Fernheimer Siedler hatten die Indianermission schon gleich nach ihrer Ankunft im Chaco ins Auge gefasst (Wiens, 1989; Klassen, 1991; Giesbrecht, 2000); sie wurde als Grund dafür verstanden, warum Gott “unser kleines mennonitisches Völkchen ausgerechnet in den weltvergessenen Gran Chaco geführt habe” (Dürksen, 1990: 191), als sinngebendes Motiv für die Schwierigkeiten der Ansiedlung (Giesbrecht, 1956: 66; Klassen, 1991: 130). Laut Gründungsstatut (zitiert in Wiens, 1989: 40f) hatte diese Missionsarbeit das Ziel, die Indianer mit dem lebendigen Wort bekannt zu machen, ihr geistiges Niveau zu heben, sie in hygienischer Hinsicht zu erziehen, sie auf wirtschaftlich-kulturellem Gebiet heranzubilden, sie sesshaft zu machen und sie in treue, nützliche und arbeitsame Bürger des paraguayischen Staats zu verwandeln. Mit anderen Worten, da die Enlhet als grundsätzlich verloren angesehen wurden, sollte ihre Kultur “ausgemerzt und eine mennonitische Kultur aufgebaut werden” (Lepp, 1972: 26; nach Klassen, 1991: 250).
Nach der Taufe der ersten sieben Enlhet 1946 bekommt die Missionsstation Ya’alve-Saanga, die 1937 eingeweiht worden war, immer mehr Gewicht. Mit Hilfe dieser ersten Christen wird massiv für eine Taufe und die Ansiedlung dort geworben (Unruh & Kalisch, in Vorbereitung), und Ende der fünfziger Jahre kommt es zu den besagten Massentaufen unter den Enlhet. Die Entscheidung der Enlhet, sesshaft zu werden und sich taufen zu lassen, wird von Seiten der Einwanderer als ein Erfolg der Missionsarbeit verstanden.
Gegenwart
Heute leben die Enlhet in fünf Arbeitersiedlungen bei den Zentren der Einwanderer und in fünf ländlichen Siedlungen, die von der mennonitischen Indianerberatungsbehörde >ASCIM betreut werden und insgesamt 44.228 Hektar umfassen (ASCIM, 2004). Der Busch in und um diese Siedlungen ist weitgehend gerodet. Der Ackerbau gibt im Chacoklima allerdings bei weitem nicht das Nötige zum Leben (Regehr, 1979). Zugleich werden die Jagdrechte und der Zugang zu dem heute privaten Landbesitz auf dem Enlhet-Territorium immer restriktiver gehandhabt. Auswärtige Lohnarbeit wird daher zunehmend unausweichlich, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, und fördert doch gleichzeitig Konsumhaltung und Materialismus.
Zwar bleibt die Bereitschaft zum Teilen unter den Verwandten und Nachbarn bis heute wichtig. Dennoch, das Leben hat seine Fülle verloren. Es ist farblos geworden und bietet nur geringe Anregung zum Lernen und Gestalten. Eingeengt auf den Siedlungen mangelt es den jungen Generationen an jener Vielfalt von unterschiedlichen Lebenskontexten, aus deren Zusammenspiel sie neues Wissen, Erfahrung und Sinn schöpfen könnten (Kalisch, 2008). Sie werden somit weitgehend von Initiativen abhängig, die von außen kommen. Diese Initiativen sind meist auf eine Institutionalisierung des Zusammenlebens ausgerichtet. Sie verstärken also den Verlagerungsprozess weg von der persönlichen Verantwortung für die Gestaltung des Lebens und Zusammenlebens und fördern umso mehr, dass die Enlhet sich von Fremdbestimmung abhängig machen und diese gar erwarten.
Das Gemeinschaftsleben ist heute über eine Nachahmung des mennonitischen Kooperativ- und Gemeindemodells geregelt. Die christliche Gemeinde formt dabei eine der Achsen, entlang derer das gesellschaftliche Leben stattfindet. Die einzelnen Ortsgemeinden zeigen viel Aktivismus und suchen Anregung in unterschiedlichen Gebieten der heutigen Gesellschaft in Paraguay. Allerdings ist es zu keiner wirklichen Gemeinschaft mit den Einwanderern gekommen. Denn obwohl deren Modell in den formalen Bereichen übernommen wurde, ist Gemeinsamkeit nur dann möglich, wenn man beidseitig die Berechtigung der jeweils anderen Lebensweise und Tradition anerkennt (Unruh & Kalisch, 2005).
Zwar ist deutlich, dass zwei Geschichtsbeschreibungen nebeneinander existieren, die der ursprünglichen Bewohner des >Chaco und die der Einwanderer. Dennoch, was unter den Enlhet öffentlich gesagt wird, ist durch die neue Logik bestimmt; ihre Ausdrucksformen nach außen richten sich in der Regel an den Argumentationsweisen des neuen Umfelds aus. Allerdings finden diese Argumentationsformen kaum Niederschlag in der konkreten Lebensgestaltung der Familien und Gemeinschaften. Es kommt also zu einer Spaltung zwischen dem Reden und dem Leben. Damit zerfällt die gemeinsam erzeugte, am Leben erprobte Grundlage aus Denken und Handeln, von der aus die vielfältigen Einflüsse und Einflussnahmen von Außen beurteilt, eingeordnet, ausgewählt und umgeformt werden können. Es fehlt das Fundament, auf dem die Enlhet eigenständig weitergehen und Neues schaffen könnten.
Eine gemeinsame Grundlage kann nur aus dem Schoß der Enlhet-Gesellschaft selbst erwachsen, denn die Gegenwart wird dadurch zur Zukunft hin gelebt, dass man neu gestaltet, was ist und was daraus erwächst. Wird die Gegenwart dagegen von Vorstellungen her geplant, die keine Entsprechung in der konkreten Wirklichkeit haben, ist sie von etwas her gedacht, was es nicht gibt; aus dem Nichts kann jedoch nichts erzeugt werden. Die Enlhet weben heute an vielen Stellen an ihrer Gegenwart, aber sie tun es unter schwierigen Bedingungen. Sie leben unter dem Zeichen des Widerspruchs zwischen dem, was sie sind, und dem, was man glaubt, dass sie sein sollten.
Hannes Kalisch
Asociación de Servicios de Cooperación Indígena-Menonita (ASCIM). 2004. [17.3.2008]; Heinrich Dürksen: Dass du nicht vergessest der Geschichten. Lebenserinnerungen von Heinrich Dürksen. Filadelfia, 1990; Bernhard Epp: Mennoblatt 6 (1939), S. 4-5; Alain Fabre: Los pueblos del Gran Chaco y sus lenguas, primera parte: Los enlhet-enenlhet del Chaco Paraguayo. Suplemento Antropológico 40 (2005) 1, S. 503-569. Zugreifbar unter: [14.3.2008]; Martin W. Friesen: Kanadische Mennoniten bezwingen eine Wildnis, 50 Jahre Kolonie Menno – erste mennonitische Ansiedlung in Südamerika. Neu überarbeitete Ausgabe. Loma Plata: Druckerei Friesen, 2004; G. B. Giesbrecht: Die Mission unter den Indianern. [Masch. Schrift] Filadelfia, 1977; Peter P. Klassen und Peter Wiens (Hrsg.): Jubiläumsschrift zum 25jährigen Bestehen der Kolonie Fernheim, Chaco Paraguay. Winnipeg: Echo-Verlag, 1956, S. 66-68; Gerd Giesbrecht: Ich sah der Lengua Hütten. Erfahrungen und Beobachtungen in der Missionsarbeit. Filadelfia, 2000; Hannes Kalisch: “No escucharon,” decían y se rindieron. Una crítica a la actuación unilateral que quita protagonismo indígena”. Acción. Revista paraguaya de reflexión y diálogo 240, 2003, S. 27-30. Zugreifbar unter: www.enlhet.org/pdf/08.pdf [14.3.2008]; Hannes Kalisch: “La convivencia de las lenguas en el Paraguay. Reflexiones acerca de la construcción de la dimensión multilingüe del país”. Revista de la Sociedad Científica del Paraguay, 17, 2005, S. 47-83. Zugreifbar unter: www.enlhet.org/pdf/08.pdf [14.3.2008]; Hannes Kalisch: “La dimensión oral fortalecida. Condiciones para reconstruirla”. Acción. Revista paraguaya de reflexión y diálogo 288, 2008, Zugreifbar unter: [14.3.2008]; Hannes Kalisch: In Druck. Nengelaasekhammalhkoo. The Enlhet Peace and it’s recent transformation. Zu veröffentlichen in: Dietrich, Wolfgang (ed.), 2009. Anthology of the many Peaces. London, Palgrave McMillan; Kidd, Stephen W.: The Morality of the Enxet People of the Paraguayan Chaco and their Resistance to Assimilation. In: Elmer S. Miller (Hrsg.): Peoples of the Gran Chaco. Westport, Connecticut: Bergin & Garvey. 1999, S. 37-60; Peter P. Klassen (Hrsg.). 1974. Kaputi Mennonita. Eine friedliche Begegnung im Chacokrieg. Filadelfia; Peter P. Klassen: Immer kreisen die Geier. Ein Buch vom Chaco Boreal in Paraguay. Filadelfia, 1983; Peter P. Klassen: Die Mennoniten in Paraguay Band 2 – Begegnung mit Indianern und Paraguayern. Bolanden – Weierhof: Mennonitischer Geschichtsverein e.V. 1991; Andrew Paul Leake: Subsistence and land-use amongst resettled indigenous people in the Paraguayan Chaco: A participatory approach. Hertfordshire: [Masch. Schrift], 1998; Dietrich Lepp: Lengua-Kultur. [Masch. Schrift], 1972; Jacob A. Loewen: The way to first class. Revolution or conversion. Practical Anthropology 12, 5, 1965, S. 193-209; Jacob A. Loewen: From nomadism to sedentary agriculture. América Indígena 26, 1, 1966, S. 27-42; Abram Löwen: Frau Braun, die Lange, die übrigblieb. Vom Niedergang einer Indianersippe in Paraguay. Ohne Ort, 1994; Walter Regehr: Die lebensräumliche Situation der Indianer im paraguayischen Chaco. Humangeographisch-ethnologische Studie zu Subsistenzgrundlage und Siedlungsform akkulturierter Chacovölker. Basler Beiträge zur Geographie, 25 Basel: Wepf & Co, 1979; Nikolai Siemens: Zur Indianermission. Mennoblatt 6 (1943), S. 5-6; Wilmar Stahl: Escenario indígena chaqueño. Pasado y presente. Filadelfia: ASCIM, 1982; Ernesto Unruh y Hannes Kalisch: Enlhet-enenlhet. Una familia lingüística chaqueña. Thule. Rivista Italiana di Studi Americanistici 14/15, 2003, S. 207-231; Ernesto Unruh u. Hannes Kalisch: Sie wissen nicht, wie sie es zu Gehör bringen sollen. In: Jahrbuch für Geschichte und Kultur der Mennoniten in Paraguay, Jahrgang 6, 2005, S. 195-221. Zugreifbar unter: [14.3.2008]; Ernesto Unruh u. Hannes Kalisch: Salvación – ¿rendición? Los enlhet y la Guerra del Chaco. En: Richard, Nicolas (Hg.). Trece guerras del Chaco: las poblaciones indígenas en el conflicto paraguayo-boliviano. Paris, Santiago, Asunción: CoLibris, LDC, Museo del Barro, 2008; Ernesto Unruh u. Hannes Kalisch: Wie schön ist deine Stimme. Berichte zur Geschichte der Enlhet aus Ya’alve-Saanga [Masch. Schrift]; Hans J. Wiens: “… Dass die Heiden Miterben seien”. Die Geschichte der Indianermission im paraguayischen Chaco. Hg. Konferenz der Mennoniten Brüdergemeinden in Paraguay. Filadelfia, 1989.